Der neueste Artikel aus der „Jenseits von Propaganda“-Serie betrachtet die Ukraine als ein Testfeld für den modernen Informationskrieg. Die Publikation, die von Marina Pesenti und Peter Pomerantsev verfasst wurde, untersucht dabei Initiativen die von Regierungsseite, Medien und Zivilgesellschaft unternommen wurden um Desinformation zu begegnen. Gleichzeitig identifizieren die Autoren welche Techniken aus der Ukraine sich in der Bekämpfung von Desinformation bewährt haben und helfen können um in anderen Ländern eingesetzt zu werden.
- How to Stop Disinformation: Lessons from Ukraine for the Wider World [PDF]
- By Marina Pesenti und Peter Pomerantsev
- August 2016
- Veröffentlicht vom Legatum Institute
ZUSAMMENFASSUNG
Der Informationskrieg und die einhergehende neuzeitliche Propaganda gehören zu den wichtigsten Herausforderungen, vor denen die Welt im 21. Jahrhundert steht. Die neuzeitliche Propaganda und gefälschte Informationen zeichnen sich dadurch aus, an verschiedenen Orten in verschiedensten Formen gleichzeitig aufzutreten.
Unter diesem Informationskrieg befindet sich die bewusste Verbreitung von Verschwörungstheorien in den USA und in Europa, Chinas Einsatz von Desinformation um seine Macht im Südchinesischen Meer zu erweitern; sowie der Online-Rekrutierung von gewalttätigen Extremisten wie denen von IS. Die heutigen Herausforderungen unterscheiden sich deutlich von denen des Kalten Krieges. Dank der fortschreitenden Globalisierung von Informationen, verbreiten sich Medien und Nachrichten weitaus schneller und weitreichender über Grenzen hinweg.
Soziale Bewegungen und staatliche Interessen vereinen und trennen sich ständig in wandelnden grenzüberscheitenden Allianzen, je nach Tageslage. Die darüber öffentlich geführten Gespräche über passende „offensive“ und „defensive“ – Strategien sehen dagegen schon seit einiger Zeit recht altmodisch und aus der Zeit gefallen aus. Sobald sich eine Gegenstrategie formiert hat, zerfällt die anvisiere Allianz und eine neu zusammengesetzte Allianz entsteht.
Derweil arbeiten innerhalb von Demokratien Kandidaten und deren politische PR-Abteilungen daran die Realität neu zu erfinden, sodass Kommentaren dazu neigen die „post-faktische Welt“ zu erkennen. Die Ukraine wurde seit der Besetzung der Krim durch Russland zum Haupt-Wirkungsfeld für diese neuzeitlichen Erscheinungen, die der Obersten Alliierten NATO-Kommandeur einmal als den größten „Informationsblitzkrieg“ in der Geschichte beschrieb.
Innerhalb der Ukraine selbst ist der Informationsraum stark durch oligarchisch kontrollierte Medien verzerrt, die kaum Rücksicht auf Genauigkeit oder Objektivität legen. Was können wir also trotz dieser Rahmenbedingungen aus den Reaktionen der Ukraine lernen? Hat eine in der Ukraine geschaffene Gegenstrategie Wirkung gezeigt? Haben andere versagt?
Diese Arbeit betrachtet die Ukraine als ein Laboratorium des Informationskrieges und prüft die Initiativen die die Regierung, Medien und die Zivilgesellschaft gestartet haben um diese neuartige Propaganda zu bekämpfen.
ZUSAMMENFASSUNG DER EMPFEHLUNGEN
1. Taktische Ziele: Direktes Aufdecken von gefälschten Information
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Während des Kalten Krieges analysierten und entlarvten offizielle Regierungsstellen wie die „Interagency Working Group on Active Measures“ gefälschten Informationen des Kreml. Was sollte heute ein zeitgemäßer Ansatz vereinen?
- Regierungen und transnationale Institutionen, sollten gemeinsam ihre strategischen Kommunikationsaktivitäten intensivieren: Die EU und andere Organe sollten zeitnahe Antworten auf gefälschten Informationen bereitstellen und Fakten-basierte Narrative veröffentlichen. Sowohl die EU als auch die NATO haben, wenn auch noch zögerlich, damit begonnen, ihre Antworten auf Informations-Attacken gegenseitig zu koordinieren. Dies ist ein guter Ansatz, der weiter verfolgt und verstetigt werden sollte. Eine ähnliche US-Initiative, eventuell als eine koordinierende Agentur auf Regierungsebenen, wäre auch denkbar und sehr willkommen. Gleichzeitig darf man bei einem Fokus auf die Regierungsseite nicht vergessen, dass Regierungen niemals vollständig als ehrliche Informationssender anerkannt werden können. Dies ist offensichtlich. Um einen höheren Effektivitätsgrad zu erreichen, müssen sie vielmehr offen und transparent mit Vertreter der Zivilgesellschaft, Informationsaktivisten und allen seriösen Medien zusammenarbeiten.
- Ein globales Register gegen Desinformation: Die Panama-Papers-Enthüllung zeigt, dass ein internationales Konsortium von Journalisten und Aktivisten äußerst effektiv gegen internationale Korruption vorgehen kann. Ein ähnlicher Ansatz ist erforderlich, um zeitgenössische Desinformationskampagnen und deren Maßnahmen aktiv zu bekämpfen. Statt sporadischer und zusammenhangloser Forschung benötigen wir mehr internationale miteinander verwobene Untersuchungen und Kampagnen, die analysieren, wie die „soft power“-Tools des Kremls zu den strategischen Langzeitzielen Moskaus passen.
- Gezielte Aufklärungskampagnen, besser bekannt als „Myth-busting“: Der englische Begriff „Myth-busting“ bezeichnet die zeitnahe Tatsachenkontrolle, die dabei auf relevante Zielgruppen, Medien und Politiker zugeschnitten sein muss. Alle bisherigen Bemühungen haben bisher selten ein klar formuliertes Ziel. Für eine maximale Wirkungskraft sollen internationale Aufklärungskampagnen untereinander abgestimmt und koordiniert werden. Sie sollten darauf ausgerichtet sein, Policy-Debatten zu informieren und dazu beitragen die Ungenauigkeiten von Mainstream-Medien zu korrigieren. Gesellschaftlich breit getragene „Vortragsreisen“ mit dem thematischen Schwerpunkt Kreml und andere Formen von gefälschten Informationen sollten darauf abzielen bedeutende Mittler zu informieren. Ein wichtige Gruppe sind natürlich internationale Journalisten und Entscheidungsträger.
- Europäisches Netzwerk von Medien- und sozialen Netzwerkzentren: Die Kreml-Propaganda zielt auf unterschiedlicher Botschaften bei unterschiedlichen Zielgruppen ab. Die Finanzierung sollte daher darauf fokussieren, ein Netzwerk von analytischen Zentren zu schaffen, das unter anderem eine Zielgruppenanalysen durchführt, um die lokalen Bedürfnisse innerhalb der sozialen Netzwerken besser zu verstehen. Das Netzwerk sollte die Medienumgebung in bestimmten Ländern messen und beobachten, um gefälschte Informationen zu erkennen und deren gesellschaftlichen Auswirkungen zu messen. Soziale Medien sollten deswegen untersucht werden, um Trends und Persönlichkeiten zu identifizieren, die unter fragmentierten sozialen Gruppen populär sind und die als Anlaufstelle für Propaganda dienen könnten
2. Strategische Ziele: Verlorenes Vertrauen in fragmentierten Gesellschaften wieder herstellen
Kreml-Desinformationskampagnen zielen darauf ab, Spannungen und Bruchlinien in liberalen Demokratien zu fördern, das innergesellschaftliche Vertrauen zu schwächen und Gesellschaften durch eine zunehmende Polarisierung sukzessive zu destabilisieren. Dies ist zunehmend einfacher, da es immer mehr Kommunikationskanäle gibt, die recht einfach mit gefälschten Informationen aus vielen Quellen des Internet geflutet werden können. Denkbare Initiativen, die Vertrauen wieder aufbauen könnten und den Informationsraum verbessern könnten, sind:
- Eine Neuerfindung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für das 21. Jahrhundert: Die Unterstützung der Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist im EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine enthalten und weist für andere assoziierte Staaten eine hohe Priorität auf. Die Herausforderung, vor der die Rundfunkanstalten in stark fragmentierten Gesellschaften wie die Ukraine und der Republik Moldau sowie in vielen westeuropäischen Ländern stehen, liegt nicht nur allein darin „Standards zu setzen“, sondern auch darin aktiv das Vertrauen im Land zu stärken und unterschiedliche soziale Gruppen innerhalb von gemeinsamen Aktivitäten zu beteiligen. Für öffentlich-rechtliche Sendeanstalten heißt dies, dass vor allem Kampagnenarbeit um soziale Fragen herum durchgeführt werden sollte. Ob dies Themen wie: Gesundheit, der Straßenbau oder der Kampf gegen Korruption innerhalb der Justiz sein sollte, sei dahingestellt. Wichtig ist, dass ein solcher „lösungs-orientierter“ Journalismus bewusst Schwerpunktthemen verfolgt. Diese Themen sollten mit eigenen investigativen Untersuchungen unterstützt werden und damit helfen Kampagnen für sozialen Wandel zu unterstützen. Dabei wird es notwendig sein die neuesten Entwicklungen innerhalb der sozialen Medien nachzuholen und diese wirkungsvoll in die eigene Arbeit zu integrieren.
- Das öffentlich-rechtlichen Rundfunk und Unterhaltungsprogramm sollte dazu genutzt werden, abgehängte Teile der Gesellschaft anzusprechen und an die Gesellschaft zu binden: Die Kreml-Propaganda ist so mächtig und einflussreich, da sie Unterhaltung, Emotionen und Zeitgeschehen geschickt mixt. Damit alternative Sender florieren können, brauchen diese Unterstützung bei Erwerb und der Herstellung von Unterhaltungsprogrammen, welche von demokratischen Werten inspiriert sind. Sie müssen auch darauf achten, entrechtete Gemeinschaften zu erreichen, solche Gemeinschaften wie die der russischsprachigen Bevölkerung in den baltischen Ländern. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass deren Bedenken gehört und ihre Sorgen
- Eine Venedig-Komission für Medien: Starke Kontrolleure sind ist ein Schlüssel um Sendeanstalten dazu zu bringen, journalistische Standards einzuhalten. Um effektiv zu sein, müssen Kontrolleure klar Richtlinien haben, wann sie Sanktionen gegen Kanälen wegen Verstöße von gewaltverherrlichender Sprache, Aufrufe zu Gewalt verhängen. Die Regelsetzer und Kontrolleure in der EU als auch in den assoziierten Mitgliedsstaaten sind oft schwach oder von eigenen Interessen geleitet, weswegen sie auch wenig Erfahrung darin haben, Sanktionen zu verhängen. Diese Risiken verursachen eine Medienlandschaft, in der Zensur zur Norm wird und Mitgliedsstaaten ihren moralischen Grundlagen verlieren. Eine breitere Diskussion dieser Fragen, und ein internationales Gremium könnten dabei helfen. Eine internationale „Venedig-Kommission“ für Medien, unter der Schirmherrschaft des Europarates, wäre in der Lage:
- Junge Regierungsbehörden zu beraten, ihre Unabhängigkeit zu garantieren und ihre Entscheidungen zu kommunizieren.
- Als Qualitätsgarant für Rundfunkanstalten zu fungieren, sodass Investoren Referenzpunkte erhalten, bei welchen Sendern gute Inhalte produziert werden, die sich auch durch hohe journalistische Standards auszeichnen.
- Die Hilfe für Mitgliedsstaaten und andere in diesem Bereich ist eine einzigartige Möglichkeit um westliche Hebel einzusetzen um die allgemeine Qualität zu verbessern.
- Eine „Bloggers Charta“ für internationale Aktivisten aus dem Informationsbereich. Aktivisten sind eine neue Gruppe, die als Akteure den Infomrationsraum sukzessive mitumgestalten. Um internationale Netzwerk zu schaffen gleichzeitig aber auch um bewährte „best-practices“ zu ermöglichen, sollten diese die Charter unterschreiben. Gleichzeitig sollten die Aktivisten nicht finanziell unterstützt werden, die gefälschten Informationen verbreiten, Gesetzte brechen und zu Gewalt aufrufen.
- Die Förderung einer Gemeinschaft von internationalen Informationsaktivisten, Journalisten, Hochschulen und Nichtregierungsorganisationen: Regierungen und Stiftungen sollten regelmäßige Austauschprogramme zwischen Journalisten, NGOs und Akademikern anbieten, um transnationale Gemeinschaften von gegenseitigen Vertrauen und kritischer Forschung zwischen verschiedenen Staaten zu schaffen. Idealerweise sollten diese Austausche sowohl Journalisten aus Front-Staaten als auch aus weiter entfernten Staaten beinhalten. Beispielsweise werden derzeit die Informationen über die Ukraine oder die der baltischen Staaten in einem Land wie Spanien in der Regel durch die verzerrte Linse der russischen Propaganda gesehen. Akademiker, Journalisten und Aktivisten aus dem Baltikum, aus dem Kaukasus oder der Ukraine sollten dabei helfen Netzwerke zu schaffen, die gegen Angriffe mit gefälschten Informationen bestehen können. Dies ist das, was der Analyst Ben Nimmo „Informationsverteidigung“ nennt.
Von Marina Pesenti und Peter Pomerantsev, für das Legatum Institute