Business Ukraine magazine

INFORMATIONSKRIEG IN DER EU: Wie haben deutsche Medien auf den neuartigen russischen Hybridkrieg in der Ukraine reagiert?

Seit dem Beginn der EuroMaidan-Revolution in der Ukraine, standen deutsche Journalisten im Hauptfokus des Informationskrieges zwischen der westlichen Welt und Russland.

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Schlachtfeld Medien: Deutschland befindet sich an der Frontlinie des globalen Informationskriegs, mit dem der Kreml und seinen Hybridkrieg die Ukraine überzieht.

Seit Beginn des Jahres 2014 war Deutschland ein Hauptschauplatz des internationalen Informationskrieges, der mit der militärischen russischen Intervention in der Ukraine begann. Innerhalb der EU war Berlin dabei federführend in der Formulierung einer gemeinsamen Antwort auf die Krise und initiierte mit Nachdruck das aktuelle Sanktionsregime. Paradoxerweise kamen in Deutschland zeitgleich aber auch die sogenannten „Putin-Versteher“ statt. Diese wachsende Gemeinschaft versucht zu verstehen oder gar zu rechtfertigen, warum Russland in der Ukraine militärisch intervenierte. Das Magazin „Business Ukraine“ lud deswegen die beiden deutschen Journalisten Benjamin Bidder (Spiegel) und Alice Bota (Die Zeit) zum Interview ein, um Eindrücke aus ihrer Arbeit zu teilen.

Vor dem Beginn der EuroMaidan-Proteste im Jahr 2013 litt die Ukraine an einen sehr geringen internationalen Stellenwert. Welchen Einfluss hatte dieser geringe Stellenwert auf die Berichterstattung während der Ukraine-Krise und hat sich die Berichterstattung in den letzten drei Jahren grundlegend verändert?

Benjamin Bidder: In den Augen des Westens war die Ukraine früher ein Buch mit sieben Siegeln, sowohl im Bereich der Politik als auch im Bereich der Medien. Die deutsche Wirtschaft mochte eher Nachrichten über interessante Investmentmärkte hören, wie beispielsweise die in Russland. Die Ukraine wurde nie als besonders attraktiver Standort für deutsche Investitionen wahrgenommen. Investitionen wurde aufgrund der hohen Korruption als extrem risikoreich eingeschätzt; die niedrige Binnennachfrage, die durch die geringen Löhne in der Ukraine zu erklären ist, waren ein weiterer Punkt des eher negativen Ukraine-Bildes. Seit dem Beginn der EuroMaidan-Proteste 2013 mangelte es der deutschen Ukraine-Berichterstattung an Verständnis und Wissen über die Ukraine an sich, was anfänglich zu einer sehr oberflächigen Berichterstattung über die Ukraine führte. Zu Beginn brachten deutsche Medien Nachrichten wie: „Klitschkos‘ härtester Kampf”. Während ich persönlich mit Klitschko als Person durchaus sympathisiere, war doch bereits im Jahr 2013 recht klar, dass es andere Figuren in der Ukraine gab, die weitaus mehr Einfluss hatten, als er es hatte.

Eine weitere oberflächige Berichterstattung war die der Einschätzung des „pro-russischen“ Präsidenten Janukowitsch. Während Janukowitsch ganz offensichtlich enge Verbindungen zu Russland pflegte, war Janukowitsch doch vorrangig ein pro-Janukowitsch Politiker. In der Realität war sein Verhältnis zum Kreml m.M.n. stets ein recht schwieriges Unterfangen. Nichtsdestotrotz, malten viele deutsche Medien ein einfaches Schwarz-weiß-Schemata. Der russische Mann in der Ukraine war das Problem (Janukowitsch), während der westliche Mann (Klitschko) alle Probleme lösen würde. Wir verstehen heute, dass die „Ukraine-Problematik lösen” eine sehr komplexe Aufgabe ist, aber in den frühen Tagen des EuroMaidan gab es ein großes Defizit an gut informierten Reportern, was Wissen über die Ukraine anbelangt. Die Dinge haben sich natürlich seitdem kontinuierlich besser entwickelt, maßgeblich weil seitdem so viele deutsche Journalisten Zeit in der Ukraine verbrachten.

Alice Bota: Die Mehrheit der deutschen Medien war unvorbereitet auf die Ereignisse, die in der Ukraine seit November 2013 stattfinden. Es gab eine Menge an deutscher Berichterstattung während der Orangenen Revolution und noch mehr während der EURO2012 (Anm.: Europameisterschaft in der Ukraine und Polen 2012), aber danach brachen das Interesse und die Berichterstattung komplett ab. Nur sehr wenige deutsche Medienhäuser hatten damals Korrespondenten, die über die Ukraine regelmäßig berichteten. Es gab kaum jemanden der permanent aus Kiew Bericht erstattete. Es gab einen Mangel an tieferen Wissen und Verständnis über die Geschichte der Ukraine. Seit dieser Zeit hat sich die Situation natürlich verbessert, deutsche Journalisten waren während des EuroMaidan mit „on the ground“. Sie berichteten über die Annektierung der Halbinsel Krim und über den Beginn des Krieges in der Ostukraine. Trotzdem ist es noch zu früh um zu urteilen, wie einschneidend diese Veränderungen auf lange Sicht sein werden. Einige Medienhäuser haben jetzt zwar Büros in Kiew eröffnet, aber die meisten haben davon Abstand genommen, meist aus wirtschaftlichen Überlegungen. Ich selbst versuche in meiner Arbeit, die Ukraine in meine Berichte einfließen zu lassen, indem ich regelmäßig in die Ukraine reise, viel Zeit in Recherchen und in Gesprächen mit Ukrainern investiere. Ein weiteres Problem der Ukraine-Berichterstattung waren die Veröffentlichungen von bekannten Meinungsmachern, die augenscheinlich kein Wissen über lokale Gegebenheiten hatten und deswegen vereinfachte Klischees reproduzierten. Das ist aber ein generelles journalistisches Problem und kein ausschließlich deutsches Problem.

Während sich die Krise weiter hinzieht und die unmittelbare Sicherheitsbedrohung für die europäische Stabilität abnimmt, ist es in ihren Augen schwieriger geworden deutsche Redakteure und Medien-Häuser in Ukraine-bezogenen Inhalten zu interessieren? 

Benjamin Bidder: Auf der einen Seite gibt es momentan sicherlich weitaus weniger “breaking news”, die die Ukraine betreffen. So zynisch diese auch klingen mag, aber auch das regelmäßige Ausbrechen von Gewalt in der Ostukraine wird mittlerweile nicht mehr als sonderlich berichtenswert aufgefasst. Trotzdem sind Redakteure und das Publikum gemeinsam – und vielleicht zum ersten Mal seit Jahren – sehr stark an Hintergrundinformationen über die Ukraine interessiert. Die Zuschauer möchten die Ukraine erklärt bekommen, vielleicht weil wir bis zu den EuroMaidan diesen Mangel an Informationen über das Land hatten. Die Herausforderung für deutsche Korrespondenten besteht darin, spannende Geschichten zu finden, die helfen die Ukraine zu erklären. Zum Beispiel produzierten wir kürzlich eine Serie, die sich den jungen ukrainischen Reformer widmete, während mein Spiegel-Kollege Christian Neef ein fünf-seitiges Portrait über Nadia Savchenko veröffentlichte.

Alice Bota: Es ist richtig festzuhalten, dass es einen merkbaren Rückgang in der Aufmerksamkeit der deutschen Medien gibt, wenn wir über den Konflikt in der Ostukraine und die stattfindenden Reformen im Land sprechen. Die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit und der deutschen Medien scheint erschöpft zu sein: Es gibt weder einen richtigen Krieg noch einen langanhaltenden Frieden in der Ostukraine. Von einer Makroperspektive hat sich in den letzten beiden Jahren nicht viel geändert. Die Öffentlichkeit gewöhnt sich an eine Vorstellung eines ‚Aufstandes irgendwo da im Osten‘. Dies ist unglücklicherweise ein Teil der russischen Strategie. Mitunter wird sich die Öffentlichkeit an diesen Zustand gewöhnen, der normalerweise als unakzeptabel angesehen würde. Die Strategie erweist sich als erfolgreich. Es ist unsere Verantwortung als Journalisten regelmäßig über die Ereignisse in der Ukraine zu berichten.

Viel wurde bereits über die Prominenz der „Putin-Versteher” gesprochen, die Kompromisslösungen propagieren und versuchen die Handlungen des Kreml zu rechtfertigen. Welche Art von Einfluss hatte diese Stimmung auf die deutsche Berichterstattung über die Ereignisse in der Ukraine?

Benjamin Bidder: Ich selbst sehe mich selbst als ein „Russland-Versteher”. Aber ich bin auch eine „Ukraine-Versteher“. Unglücklicherweise tendieren viele Menschen dazu „verstehen“ mit „zustimmen“ gleichzusetzen. Für die letzten sieben Jahre als Korrespondent in Moskau habe ich stets versucht alles zu verstehen und zu erklären, was ich aber persönlich nicht unbedingt zustimme. Das Verstehen der wahren Situation ist meiner Meinung nach die Basis für jede gute Analyse und auch für die Verabschiedung von richtigen Politiken. Es gibt in Deutschland tatsächlich eine recht große und einflussreiche Gruppe an sich selbst bezeichnenden „Putin-Versteher”. Viele von denen sehen Deutschlands und Europas Beziehung mit Russland als ein Schlachtfeld in einem viel größeren Konflikt. Viele träumen von einer Neuorientierung Deutschlands und der EU, meinen aber eine Abkehr von den Vereinigten Staaten. Interessanterweise, haben diese Leute meist gar kein Verständnis oder Wissen, was wirklich gerade in Russland oder der Ukraine passiert. Die glauben einfach dass Putin Recht hat, weil sie es glauben wollen.

Alice Bota: Ich finde diesen Begriff der „Putin-Versteher” nicht sonderlich hilfreich. Er ist sehr zweideutig und wird in Debatten oft verfälscht eingebracht. Typischerweise wird er benutzt um jemanden falsches Verhalten vorzuwerfen oder es dient dazu eine größere Dimension zu verniedlichen. Die wahre Frage sollte sein, ob wir zu der „Realpolitik“ des Kalten Krieges zurückkehren wollen oder ob sich unser Verständnis der Internationalen Beziehungen seit 1989 wirklich grundlegend verändert hat? Solle sich Deutschland auf intensive bilaterale Beziehungen zu Russland konzentrieren oder sollte der Fokus nicht auf Russlands Nachbarn und der Stärkung von die EU-Politiken liegen? Der Begriff „Putin-Versteher” impliziert, dass die die Putins Politik kritisieren, in irgendeiner Art, Verständnis für Putin fehle, während es natürlich sehr gut möglich ist ihn und seine Motive zu verstehen, auch ohne ihn und seinen Zielen zuzustimmen.

Es gibt tatsächlich eine starke pro-russische Lobby in Deutschland, sowohl aus wirtschaftlichen als auch aus kulturellen Gründen, und ihr Einfluss ist tatsächlich gewaltig. Aber, wenn sie jemanden als „Putin-Versteher” bezeichnen, beenden sie den Diskurs meiner Meinung nach bereits an seinen Anfang. Ich bevorzuge es in Diskussionen alle Labels und Bezeichnungen beiseite zu lassen. Lasst uns lieber spezifische Dinge wieder und wieder thematisieren, wie die Rolle Russlands in der Ostukraine und die Versuche des Kremls die Ukraine zu destabilisieren. Oft ist es ermüdend, manchmal ist es bestürzend, manchmal erscheint es als eine Verschwendung von Zeit. Aber am Ende ist diese Arbeit absolut notwendig.

Die Fake-Geschichte „Unsere Lisa”, eine Geschichte über einen angeblichen sexuellen Übergriff in Berlin wurde von Kreml-Medien im Frühjahr 2016 aufgebauscht. Viele verglichen die damit einhergehenden Informationsattacken mit der Art von Informationsattacken, denen sich die Ukraine in den letzten Jahren ausgesetzt sieht. War dieser Vorfall ein finaler Weckruf für die deutschen Medien, in Anbetracht der Gefahren, die von russischen Informationskrieg ausgehen und hat dies zu einer Einstellungsänderungen geführt, in Betracht zu Narrativen die ihren Ursprung in russischen Staatsmedien haben?

Benjamin Bidder: Ja und Nein. Auf der einen Seite war es definitiv ein Weckruf für die gesamte deutsche Öffentlichkeit und auch für unsere deutsche Regierung. Auf der anderen Seite zeigt der Fall Lisa, dass unsere Gesellschaft ziemlich stark und gefestigt ist. Ja, es gab Proteste in vielen Städten ganz über Deutschland verteilt. Aber: Nicht mehr als 10.000 Menschen nahmen an diesen Protesten teil. Auf der einen Seite zeigte dieser Vorfall also, wie verwundbar die russischsprachige Gemeinschaft in Deutschland ist. Auf der anderen Seite sind 10.000 Menschen aus einer Gemeinschaft von knapp drei Millionen Russisch-Sprecher in Deutschland nicht wirklich so schlecht.

Alice Bota: Ja, der Fall Lisa schockte sehr viele Deutsche, vor allem aber die Politiker bis auf die Knochen. Er zeigt klar und deutlich das vorhandene Misstrauen seitens der deutschen russischsprachigen Bevölkerung und teilweise verdeutlichte es auch deutlich Beispiele gescheiterter Integration innerhalb der russischsprachigen Gemeinschaft in Deutschland. Hauptsächlich aus diesen Gründen interpretierten viele Menschen den Fall Lisa als Teil des Hybridkrieges des Kremls gegen den Westen. In diesem speziellen Fall finde ich aber, dass die Terminologie nicht besonders geeignet ist, einen Hybridkrieg zu illustrieren, da sie im Fall Lisa, die Ereignisse in der Ukraine verharmlost.

Russland führt einen realen hybriden Krieg gegen die Ukraine, nicht gegen Deutschland. Es gab spürbare mehrere Versuche die deutsche Öffentlichkeit zu manipulieren, mit falschen Meldungen zu verunsichern und Medien-Konsumenten zu verwirren, in dem man mehrere mögliche Alternativversionen zu Ereignissen präsentierte. Dies ist aber kein neues Phänomen, die Staaten Mittel-und Osteuropas sehen sich mit dieser russischen Strategie seit Jahren konfrontiert. Leider haben nur wenige westliche Politiker diese Entwicklungen vor 2014 Aufmerksamkeit geschenkt. Seitdem Russland aber seine Bemühungen in einer manipulativen Informationspolitik gegenüber Deutschland, vor allem auf diplomatischer Spitzenebene verstärkt, versucht Europa das Problem mit Entlarvung von Mythen zu beantworten. Leider haben diese westlichen Versuche zum Gegensteuern bisher nicht viele durchschlagende Erfolge erzielt. Der Effekt dieser Entlarvungen (engl. Debunking) sind sehr begrenzt. Um es mit Winston Churchills Worten zu sagen: „Eine Lüge schafft es um die halbe Welt, bevor die Wahrheit eine Chance hat seine Hosen anzuziehen.“

Entscheidend ist aber, wir können auf Propaganda nicht mit Gegen-Propaganda antworten. Als Mitglieder von offenen, demokratischen und pluralistischen Gesellschaften können wir unsere Werte, nicht mit denselben Mittel verteidigen, die wir gleichzeitig verdammen. Natürlich befinden wir uns damit selbst in einer Zwickmühle, weil die russische Propaganda unseren Pluralismus rücksichtslos gegen uns ausnutzt. Trotzdem müssen wir ehrlich zu unseren Prinzipien stehen.

Der Ukraine-Konflikt hat die Verletzbarkeit der gesamten westlichen Welt im Bereich von Informationsattacken deutlich sichtbar gemacht. Diese führte soweit, dass es zu einer Vertrauenskrise gegenüber allen Mainstreammedien allgemein kam. Zeigt dieser verhältnismäßig große Erfolg der russischen Medienpolitik einen Abstieg in der Glaubwürdigkeit von etablierten Mainstreammedien?

Benjamin Bidder: Ich würde nicht sagen, dass der russische Informationskrieg ein wirklicher Erfolg ist. Wenn Sie sich den deutschen Ableger von Russia Today ansehen, das ist wirkliches Trash-Fernsehen. Wenn Sie bereits früher an die große „CIA-Bilderberger-NATO-Verschwörung” glaubten, würden Sie es wahrscheinlich mögen. Aber die russische Propaganda hat bisher versagt eine weiterreichende, vernünftige Öffentlichkeit zu erreichen. Selbst der englischsprachige Dienst von Russia Today, der einige gewiefte und smarte Propaganda anbietet, hat bisher nur einen sehr begrenzten Einfluss gezeigt. Wenn Sie die weltweite Reichweite von Russia Todays Homepage mit similarweb oder anderen Dienste messen, stellen Sie fest, dass die Zuhörerschaft nicht so groß ist, wie Sie dies vielleicht annehmen würden. Vor allem nicht, wenn Sie die Hörerschaft mit dem eingebrachten Budget oder dem RT umgebenden Hype in Verbindung setzen. Trotz dessen hatte Russland einigen Erfolg damit die Selbstzweifel der westlichen Gesellschaft zu verstärken. Gerade deswegen bringt RT ja Dinge wie die NSA-Affäre und die Edward Snowden Geschichten zu jeder Uhrzeit, genauso wie die Flüchtlingskrise innerhalb der EU. Sie instrumentalisieren und nutzen die Schwäche des Westens. Der einfachste Weg (und vielleicht der effektivste Weg) dagegen zuhalten, ist unseren eigenen Probleme zu lösen.

Alice Bota: Die so genannte Vertrauenskrise in die westlichen Medien ist ein weitaus größeres Thema um es allein dem angenommenen Erfolg von russischer Propaganda zuzuschreiben, der von russische Staatsmedien produziert wird. Trotz allem, der Erfolg der Propaganda ist in der Tat sichtbar. Traditionelle internationale Medien sehen sich anhand der weltweit ständig wandelnden Medienlandschaft mit vielen Problemen konfrontiert. Als ein Resultat dieser Veränderungen befinden wir uns in einer, was viele Menschen als ein „post-faktisches Zeitalter” bezeichnen. Russland hat diese Möglichkeit genutzt und die Kunst der Fehlinformation perfektioniert. Die russische Reaktion zu der internationalen Untersuchung zu MH17-Abschuss demonstrierte diesen Prozess sehr anschaulich. Dabei wurden geprüfte Fakten des internationalen Untersuchungskomitees von russischen Staatsmedien einfach ignoriert. Diese sich ändernde Medienlandschaft erzeugt enorme Herausforderungen für Journalisten. Russland dafür zu beschuldigen, wird aber nicht helfen dem Phänomen des post-faktischen Zeitalters zu begegnen. Wir müssen weiter dabei bleiben zu recherchieren, zu forschen und zu berichten. Schließlich ist unsere Aufgabe ruhig zu bleiben und weiter zu arbeiten.

Zurzeit ist die internationale Berichterstattung über die Ukraine durch das Kriegsgeschehen mit Russland und dem Post-Maidan Kampf gegen die uferlose Korruption gewidmet. Trotz allem gibt es in der Ukraine doch weitaus mehr spannende Themen als diese beiden Schlüsselthemen. Welche anderen Aspekte der gegenwärtigen Ukraine sind Ihrer Meinung nach Wert von einer größeren internationalen Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden?

Benjamin Bidder: Ha! Ich könnte hier seitenweise Empfehlungen geben. In Fragen der Wirtschaft ist das Wiederaufleben der ukrainischen Landwirtschaft ein spannendes Thema! Im kulturellen Bereich könnte der friedliche Multikulturalismus von Odessa großartige Geschichten für eine internationale Öffentlichkeit bringen. So habe ich in Odessa beispielsweise allein hundert verschiedene Nationalitäten in einer einzigen Schule gefunden.

Alice Bota: Jedes Land auf den Kontext von Krieg und Revolutionen zu reduzieren ist tragisch und falsch. Es gibt so viel in der Ukraine, worüber es sich zu schreiben lohnt. Ich würde definitiv die herausragenden Autoren hervorheben, die die Ukraine zu bieten hat, viele die nach und nach auch unter deutschen Lesern populärer werden. Es gibt eine lebendige Kunstszene und eine beeindruckende Anzahl an Festivals, wie beispielsweise dem alljährlichen Filmfestival in Odessa. Aber für den Moment werden der Krieg und die Post-EuroMaidan-Ukraine die meiste Aufmerksamkeit für die Ukraine erzeugen. Diese Themen können wir deswegen auch nicht negieren. Wir haben die Entwicklungen in der Ostukraine aufmerksam zu folgen und den Reformprozess zu begleiten. Selbst ukrainische Autoren wir Serhiy Zhadan, Andriy Kurkov, und Kateryna Mishchenko beschäftigen sich mit dem Thema Krieg in ihren neuesten Veröffentlichungen. Das folgende Jahr wird entscheidend für die Ukraine sein. Der Ausgang des Krieges im Donbas und der Kampf gegen die Korruption wird die Zukunft der Ukraine bestimmen. Deswegen sollte momentan, diese Themen der Hauptfokus für Journalisten sein, die über die Ukraine berichten.

Über die Interviewten:

Alice Bota ist Büroleiterin der Moskauer Zeit-Dependance. Sie berichtet seit 2013 über die Ukraine und hat das Land mehrfach besucht. Sie schrieb über den EuroMaidan, die Annektierung der Krim und den Krieg im Donbas.

Benjamin Bidder war von 2009 bis September 2016 Spiegel-Korrespondent in Moskau. Kürzlich trat er dem Wirtschaftsressort des Spiegels in Deutschland bei und wird fortan weiter Russland und die Ukraine aus einer wirtschaftlichen Perspektive betrachten.

Originalbeitrag: Business Ukraine magazine, 17 October 2016, INFOWAR IN THE EU: How has the German media responded to unique challenges of Russian hybrid war in Ukraine?