Von Tabea Rößner und Karl-E. Hain – Wie man Lügen am besten bekämpft (FAZ, 07.03.2017)
Fake News werden im Internet zur Plage. Helfen schärfere Gesetze oder ein „Wahrheitsministerium“ dagegen? Nein, das wäre kaum förderlich für die Meinungsbildung. Ein Gastbeitrag.
In der Debatte über sogenannte Fake News stellen sich eine Vielzahl ethischer, rechtlicher und rechtspolitischer Fragen: Was sind eigentlich Fake News? Wo liegen die Grenzen der Meinungsfreiheit? Existiert ein Recht auf Lüge? Wie kann mit geltendem Recht gegen Fake News vorgegangen werden? Gibt es rechtlichen Nachbesserungsbedarf? Dieser Fragen müssen wir uns dringend annehmen. Denn die Problematik, wie der massenhaften Verbreitung von Fake News über digitale Kanäle begegnet werden kann, betrifft sowohl die Freiheiten der Meinungsäußerung, der Medien und der Information, die Persönlichkeitsrechte Betroffener als auch den Prozess freiheitlicher demokratischer Meinungsbildung insgesamt.
Mit Fake News sind gezielte Falschmeldungen, also bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen gemeint. Um es deutlich zu sagen: Es geht um gezielt plazierte Lügen. Die Verbreitung bewusst oder erwiesen unwahrer Tatsachenbehauptungen ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, jedenfalls sofern sie von wertenden Meinungsäußerungen in einem Text trennbar sind, nicht vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst. Denn Lügen tragen nichts zum freiheitlichen Meinungsbildungsprozess bei. In einem solchen Prozess nehmen wir einander wechselseitig als vernunftfähige, freie Personen ernst, die zur Selbstbestimmung in der Lage sind. Dabei sind Wahrheit und Informiertheit notwendige Bedingungen eines rationalen Prozesses freier Meinungsbildung – man kann darauf nicht verzichten, es sei denn um den Preis der Vernunft und der Freiheit. Den anderen zu belügen heißt tendenziell, ihn nicht als vernunftfähiges, freies Subjekt ernst zu nehmen, ihn vielmehr als Objekt kommunikativer Fremdsteuerung zu behandeln, nicht zuletzt auch Betroffene in ihrer Ehre als Person bewusst zu verletzen. Mit dem begrifflich hochgejazzten „Postfaktischen“ geht also die Negation wesentlicher Grundlagen der Freiheit und der Demokratie einher. Das ist beileibe keine Petitesse.
Missbrauch kann unabsehbare Folgen für die Demokratie haben
Nun sind Fake News kein neues Phänomen, es gab sie schon immer. Indes gewinnt ihre bisweilen kampagnenartige Verbreitung in Zeiten bislang unvorstellbarer Kommunikationsmöglichkeiten über das Internet eine neue Dimension: Niemals konnten Fake News so schnell an so viele Empfänger durch so viele institutionalisierte wie private Urheber verbreitet werden wie im Netz. Zunehmend haben wir es übrigens gar nicht mehr mit menschlichen Urhebern zu tun, sondern mit „Social Bots“, also Computerprogrammen, die Beiträge maschinell generieren und dabei oft mit gefakten Identitäten arbeiten. Auch die Täuschung über den Urheber eines Beitrags schränkt die Möglichkeit freier, realistischer Meinungsbildung ein. Deshalb ist es dringend notwendig, Transparenz hinsichtlich des Bot-Charakters von „Bot-Schaften“ zu gewährleisten.
Unbestreitbar bieten die digitalen Kanäle auch viele Vorteile für den Kommunikationsprozess und die einzelnen Nutzerinnen und Nutzer. Sie ermöglichen im Idealfall mehr Vielfalt. Potentiell kann jeder aus der passiven Empfängerrolle in die aktive Rolle des Kommunikators wechseln, und man kann mit ihnen mehr Nutzer schneller erreichen als in analogen Zeiten. Aber die neuen Verbreitungskanäle sind aus ebendiesen Gründen auch hochgradig missbrauchbar. Der Missbrauch kann unabsehbare Folgen für den Einzelnen und die Demokratie insgesamt haben und ist im Netz schwerer zu bekämpfen.
Sollte das bestehende Recht verschärft werden?
Um der Freiheit und der Demokratie willen sind wir verpflichtet, diesen Missbrauch zu bekämpfen. Dabei ist es nicht so, dass das geltende Recht, insbesondere das Strafrecht – etwa mit den Tatbeständen der Verleumdung und der üblen Nachrede – und das Strafprozessrecht, nicht über Waffen für diesen Kampf verfügte. Strafrechtlich ist es nicht ausgeschlossen, dass auch Mitarbeiter sozialer Netzwerke, auf denen Lügen gepostet werden, sich als Beihelfer strafbar machen, wenn sie Kenntnis (der Umstände) von Rechtsverletzungen erlangen und gleichwohl untätig bleiben. Und die Verantwortlichen sollten auch strafrechtlich verfolgt werden, falls Netzwerke wie Facebook ihren Verpflichtungen zum take down after notice (Paragraph 10 Telemediengesetz beziehungsweise Störerhaftung) nicht nachkommen. Gegen Fake News können Betroffene mit den Mitteln zivilrechtlicher Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche vorgehen. Dabei können selbst vom Ausland aus begangene Straftaten unter bestimmten Voraussetzungen in Deutschland geahndet werden. Ähnliches gilt für die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche wegen Persönlichkeitsverletzungen. Auch in der Schule und an den Universitäten sind Lehrer und Wissenschaftler der Wahrheit verpflichtet. Zudem unterliegen nicht nur die klassischen Medien, deren Bedeutung für die Qualität des demokratischen Diskurses in digitalen Zeiten eher wächst, sondern auch journalistisch-redaktionelle Online-Dienste Sorgfaltspflichten, die zentral der Sicherung der Wahrheit von Informationen gelten.
Zuallererst gilt es, von den Möglichkeiten des geltenden Rechts konsequent Gebrauch zu machen. Es bietet – jedenfalls im Fall der Verletzung individueller Rechte – die Möglichkeit, auf der Basis bestehender Regelungen Fake News zu begegnen. Behutsam ist demgegenüber die Frage anzugehen, ob das geltende Recht verschärft werden sollte. Was das Strafrecht betrifft, so sanktionieren die einschlägigen Tatbestände die Äußerung nicht erweislich wahrer oder bewusst unwahrer Tatsachen vorwiegend im Zusammenhang mit Verletzungen des Persönlichkeitsrechts. Aus guten Gründen wird nur sehr selten die Äußerung oder Verbreitung unwahrer Tatsachen ohne diesen Bezug aus objektiven Gründen unter Strafe gestellt – wie etwa die sogenannte „Auschwitz-Lüge“ zur Wahrung des öffentlichen Friedens.
Bundestag könnte mit einer „Clearing-Stelle“ weiterhelfen
Was die Telemedienaufsicht anbelangt, so ist diese grundsätzlich subsidiär gegenüber der Möglichkeit privater Rechtsverfolgung. Sie greift auch nicht gegenüber der Presse ein, soweit diese der Selbstregulierung durch den Pressekodex und der Beschwerdeordnung des Deutschen Presserates unterliegt, bei dem auch Beschwerden im Hinblick auf Telemedien der Presse mit journalistisch-redaktionellen Inhalten eingereicht werden können. An diesen Beschränkungen des Wirkungskreises der Telemedienaufsicht sollte nichts geändert werden. Erwägenswert erscheint jedoch die Klarstellung der Handlungsbefugnis der Aufsichtsbehörden bei Verletzungen journalistischer Sorgfaltspflichten zur Prüfung von Nachrichten auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit durch journalistisch-redaktionell gestaltete Telemedien, wozu auch kontinuierlich und dauerhaft redaktionell betreute journalistische Blogs und Laienangebote zählen können. Wer mit solchen Angeboten auf die öffentliche Meinungsbildung einwirkt und dabei ohnehin journalistischen Sorgfaltspflichten unterworfen ist (Paragraph 54 Abs. 2 Rundfunkstaatsvertrag), sollte gegebenenfalls auch durch Aufsichtsmaßnahmen, die selbstverständlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren haben, zur Beachtung dieser Pflichten angehalten werden können. Bei den für die Telemedienaufsicht zumeist zuständigen, staatsfern organisierten Landesmedienanstalten wäre diese Aufsicht auch unter Kompetenzgesichtspunkten allemal besser aufgehoben als bei einer polemisch als „Wahrheitsministerium“ bezeichneten Behörde auf Bundesebene, die mit Eingriffsbefugnissen versehen wäre.
© dpa. Ob es Sinn ergibt, oder nicht, scheint diese Frau wenig zu stören. Der Begriff ist auf (fast) alles anwendbar.
Um Desinformationskampagnen zu begegnen, wäre es allerdings denkbar, dass zum Beispiel der Bundestag im Bereich seiner Sachkompetenzen eine Clearing-Stelle schafft, die Falschmeldungen adressiert und richtigstellt. Die Verbreitung begründeter Richtigstellungen, die freilich nicht den Rang verbindlicher hoheitlicher Wahrheitsfeststellungen haben dürften, sondern als Beiträge im Prozess der Meinungsbildung zu verstehen wären, könnte über die Wege der Informationsarbeit staatlicher Institutionen erfolgen und – wie vor allen Dingen auch der Qualitätsjournalismus und möglicherweise auch Netzwerke wie „Correctiv“ – einen Beitrag zur Faktenklärung leisten. Dabei gilt es indes zu bedenken, dass gerichtlich festgestellte Irrtümer solcher Clearing-Stellen diesen sofort die Legitimität nehmen würden.
Staat ist auf kommunikatives Ethos angewiesen
Wir haben gesehen, dass die Verbreitung von Lügen meist im Zusammenhang mit der Betroffenheit individueller Rechtspositionen wie des Persönlichkeitsrechts sanktioniert wird. Vor einer Änderung dieser Rechtslage soll abschließend nochmals gewarnt werden. Die Einführung einer allgemeinen Rechtspflicht von Kommunikatoren auf Wahrheit im öffentlichen Diskurs und einer diesbezüglichen umfassenden Prüfpflicht von Intermediären wie Facebook kommt aus grundsätzlichen und praktischen Erwägungen nicht in Betracht.
Auch wenn kein Recht auf Lüge existiert und ein freiheitlich-demokratischer Meinungsbildungsprozess auf die Wahrheit von Behauptungen angewiesen ist – die Einhaltung solcher Pflichten durch eine unübersehbare Zahl von Kommunikatoren wäre kaum überprüfbar, die Ahndung und Beseitigung einer potentiellen Vielzahl von Verstößen kaum leistbar, die Entstehung eines durch gegenseitige Lügenbezichtigungen vergifteten Diskursklimas absehbar und die Rolle des Staates als autoritativers Wahrheitsrichtern nicht hinnehmbar. Auch in dieser Hinsicht zeigt sich, dass der freiheitlich-demokratische Staat zum Teil auf Voraussetzungen beruht, die er selbst nicht rechtlich garantieren kann. Insoweit bleibt er auf das kommunikative Ethos der Diskursteilnehmer verwiesen. Die Einsicht in die innere Verpflichtung zur Wahrheit und die Entschlossenheit der Bürgerinnen und Bürger, Fake News mit den Mitteln der Vernunft als Lügen zu entlarven: Beides wird dringend benötigt zur Aufrechterhaltung eines freiheitlichen und demokratischen Meinungsbildungsprozesses, der diesen Namen verdient.
Tabea Rößner ist medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
Von Tabea Rößner und Karl-E. Hain – Wie man Lügen am besten bekämpft (FAZ, 07.03.2017)