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Von Sebastian Christ – So versuchte die russische Propaganda, die Stimmung in Deutschland nach dem Syrien-Angriff zu vergiften (Huffington Post Deutschland, 10.4.2017)
Es gibt gute Gründe, die dafür sprechen, dass Syriens Diktator Baschar al-Assad in der vergangenen Woche seine eigene Bevölkerung mit Giftgas angegriffen hat. Augenzeugen bestätigen einen Luftangriff durch syrische Regierungstruppen, keine andere Konfliktpartei verfügt über die Möglichkeit eines Gasangriffs aus der Luft.
Bei dem Angriff soll Sarin eingesetzt worden sein – die syrische Regierung war einst im Besitz dieses Kampfstoffs und hält womöglich noch Restvorräte versteckt.
Es gibt auch Gründe, an dieser Version zu zweifeln. Aber wenn diese Zweifel gezielt entfacht werden, dann haben wir es mit einer sehr bedenklichen Form der politischen Kommunikation zu tun. Experten sprechen von einer „Zersetzung“ von demokratischen Entscheidungsprozessen.
Russische Staatssender haben schon während der Ukraine-Krise im Jahr 2014 alles dafür getan, um diese Zweifel zu streuen.
Wie das alles funktioniert? Das lässt sich derzeit sehr gut am Beispiel des amerikanischen Raketenangriffs auf eine syrische Luftwaffenbasis studieren, den US-Präsident Donald Trump am 7. April als Reaktion auf den Giftgasangriff befohlen hatte.
RT Deutsch und Sputnik sind derzeit wohl die beiden einflussreichsten russischen Medien in Deutschland. Dies sind einige Tweets, die ihre Macher in der vergangenen Woche abgesetzt haben.
1. Schritt: Verschleierung
Im Gegensatz zu den meisten westlichen Medien gab sich RT ganz zurückhaltend. Fast so, als sei in Syrien nichts Bemerkenswertes passiert.
USA werfen Assad Gasangriff in #Idlib vor – #Damaskus dementierthttps://t.co/GALm8a8ia1 pic.twitter.com/MaJTKXD7zp
— RT Deutsch (@RT_Deutsch) 4. April 2017
Sputnik hat sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, die reine Nachricht des Giftgas-Angriffs über den Twitter-Account zu vermelden. Es folgte, noch am 4. April, gleich das Dementi der syrischen Regierung. Ohne Gegenstimmen wird hier Assads Position verbreitet, wonach seine Truppen niemals Giftgas eingesetzt hätten.
Wer nur diese Meldung liest, muss am Ende daran zweifeln, ob es überhaupt einen Angriff gegeben hat. So beginnt die Manipulation der Debatte über das, was in der syrischen Provinz Idlib geschehen ist.
Die syrische Armee hat die Vorwürfe eines Giftgasangriffes in der syrischen Provinz Idlib entschieden zurückgewiesenhttps://t.co/DqBUb3bp0N
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 4. April 2017
2. Schritt: Desinformation
Kern moderner Propaganda ist es oftmals nicht, eine Meinung möglichst wirkungsvoll zu verbreiten, sondern Diskurse zu zerschlagen. Es geht darum, die Meinungsbildungsprozesse in Demokratien zu verlangsamen und aufzuhalten. Das erreicht man dadurch, dass man gezielt Zweifel und Verwirrung streut.
Die russischen Staatsmedien begannen damit gleich am Tag danach. Es ist eine Mischung aus offensichtlichen Falschmeldungen und aus dem Zusammenhang gerissenen Details.
RT vermeldet die krude These, dass das Giftgas angeblich aus einem versteckten Terroristen-Depot freigesetzt wurde.
Russischer Militärsprecher: #Giftgas-Todesfälle durch syrischen Luftangriff auf Terroristen-Depot | #Syrienhttps://t.co/dC45S0HQZm pic.twitter.com/lhMjbSyY3Y
— RT Deutsch (@RT_Deutsch) 5. April 2017
Sputnik deutet an, dass auch die Türkei derzeit in Idlib aktiv sei.
„Aggression gegen das syrische Volk“: Syrien-Botschafter zur Verlegung türkischer schwerer Militärtechnik in Idlib https://t.co/XmQLH5wTfk
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 5. April 2017
Dann hat ein russischer Armeesprecher seinen großen Auftritt: Er darf vermelden, dass laut Daten von Putins Luftwaffe tatsächlich ein Angriff auf ein „Terroristen-Depot“ stattgefunden habe.
Giftgasangriff in Syrien: Russland präsentiert seine Überwachungsdaten https://t.co/rGoJwGtXzr pic.twitter.com/tKU41Sed1I
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 5. April 2017
Schließlich – und hier widerspricht Sputnik der eigenen Berichterstattung des gleichen Tages – verbreitet das Staatsmedium eine Meldung, wonach es laut UN noch nicht einmal sicher sei, dass es überhaupt einen Luftangriff gegeben habe.
Giftgas-Vorfall in Syrien: UN und OPCW können Luftschlag als Ursache nicht bestätigen https://t.co/CnaXN64wXO pic.twitter.com/Hkj1KHcDtW
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 5. April 2017
RT veröffentlicht zur gleichen Zeit ein Interview mit dem ehemaligen DDR-Agenten Rainer Rupp (Deckname: „Topas“), der den Medien und wohl auch der Öffentlichkeit an sich pauschal Russlandfeindlichkeit vorwirft.
Rainer Rupp zu #Idlib: Im Fall von Chemie-Waffen kann es für Mainstream nur der Russe gewesen sein [VIDEO]https://t.co/uJGGO6ts5h pic.twitter.com/9GwvKy98xY
— RT Deutsch (@RT_Deutsch) 5. April 2017
Und dann unterstellt der russische Staatssender der syrischen Opposition eine „False-Flag-Operation“. Ebenfalls im Widerspruch zu früheren Meldungen dieses Tages.
RT-Exklusiv: „#Chemieangriff eine False-Flag-Operation von Rebellen“https://t.co/quogp4E2wi pic.twitter.com/UlvmwjYvBL
— RT Deutsch (@RT_Deutsch) 5. April 2017
Am nächsten Tag ist auf RT von einem „angeblichen Giftgasangriff“ die Rede.
Angeblicher „#Giftgas-Angriff“: #USA und #Russland liefern sich Schlagabtausch im Sicherheitsrathttps://t.co/4mTYRw7W9K pic.twitter.com/iqQgbpPASw
— RT Deutsch (@RT_Deutsch) 6. April 2017
Und wer noch Glauben in die Aufrichtigkeit der anderen Medien hat, wird hier eines Besseren belehrt.
„Die Wahrheit stirbt zuerst“: Keine objektiven Berichte über Giftgaseinsatz bei Idlibhttps://t.co/tFutkXNPp3 pic.twitter.com/m5YdHIeooa
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 6. April 2017
Blicken Sie noch durch?
Nein?
Genau dann hat diese moderne Form der Propaganda ihr Ziel erreicht.
Denn wenn es uns als Bürgern schwer fällt, eine Meinung zu bilden, dann verharrt die Politik in einer Demokratie oftmals in Untätigkeit. Jede demokratische Regierung muss sich schließlich für ihr Handeln bei den nächsten Wahlen verantworten.
3. Schritt: Aufbau eines Feindbildes
So schnell, wie russische Staatsmedien mit dem „Russophobie“-Vorwurf bei der Hand sind, so schnell schüren sie auch Vorurteile gegen den „Westen“.
Das passiert nicht unbedacht: Denn in den liberalen Demokratien Europas und Amerikas gibt es viele Menschen, die mit Blick auf die Vergangenheit aus gutem Grund am Vorgehen von Amerika und der Nato zweifeln. Hier merkt man, wie viel Schaden der frühere US-Präsident George W. Bush mit seinem durch gefälschte Beweise losgetretenen Krieg im Irak angerichtet hat.
Die Macher der russischen Staatsmedien wissen, wie fruchtbar der Boden ist, auf den die Anschuldigungen gegen den Westen fallen. Und deswegen verbreiten sie früh schon Stories wie diese hier:
Syrien: Westen will Regime Change -Russland steht dem im Wege – Ex-Diplomathttps://t.co/HQ81VCJIIe pic.twitter.com/NCc4qQwYbk
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 5. April 2017
„Entbehrt jeder Logik“: Giftgas-Attacke soll Assad in die Schuhe geschoben werdenhttps://t.co/xkkrczvedF pic.twitter.com/RCjZfWnQ1V
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 5. April 2017
4. Schritt: Waffenporno
Um das Schreckgespenst einer drohenden Auseinandersetzung des Westens mit Russland in ein rechtes Licht zu rücken, bauen russische Staatsmedien seit Jahren eine Drohkulisse auf.
In zahlreichen Berichten, die einen nicht unerheblichen Teil des Nachrichtenaufkommens ausmachen, wird der angebliche technische Stand der russischen Rüstungsindustrie präsentiert. Die Message ist klar: Wer sich mit Wladimir Putin anlegt, riskiert Tod und Verderben.
Zum Beispiel IS-Terroristen.
🎥 Syrische Dschihadisten verglühen in russischer „Sonnenhitze“ https://t.co/bitZjBr31B pic.twitter.com/yQW8KZNSTd
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 6. April 2017
Russland ist zur See eine Macht.
Medien: Russische Marine übt im Kaspischen Meer – Werden Ziele in Syrien anvisiert?https://t.co/QHhO7EuTR0 pic.twitter.com/fP7KTmbjKy
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 5. April 2017
Im Eis.
Siegesparade: Russland zeigt erstmals Arktis-Waffenhttps://t.co/pwyJwzVwa0 pic.twitter.com/ubv0CiIkt6
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 5. April 2017
Und hat eine große Armee.
#FotodesTages Kadetten während der Probe für die Siegesparade auf dem Gelände Alabino bei Moskau pic.twitter.com/duDS02aKQW
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 5. April 2017
Eine sehr große Armee.
Erste Probe für die Siegesparade https://t.co/C17tbTL43d
Mehr 📷: https://t.co/C17tbTL43d pic.twitter.com/wqSlcW2Nbo— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 5. April 2017
Mit modernen Waffen.
Russlands stärkste moderne Waffenhttps://t.co/gYVZWyCS9g pic.twitter.com/R8K9bhvays
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 8. April 2017
Mit sehr modernen Waffen.
Russische Anti-Raketen-Raketen reichen jetzt bis ins Allhttps://t.co/A609KdMdsD pic.twitter.com/mr3kJa0f4Z
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 8. April 2017
5. Schritt: Angst
Im Verlauf der Ukraine-Krise im Jahr 2014 ist klar geworden, dass sehr viele Deutsche sich vor einem Krieg mit Russland fürchten. Wann immer damals ein Politiker vom Dritten Weltkrieg sprach, war ihm Aufmerksamkeit sicher. Immer wieder hörte man diese Warnung etwa von Politikern der Linkspartei.
Es ist 2014 nicht zum Dritten Weltkrieg gekommen, sondern zur Annexion der Krim und zur Besetzung von Teilen der Ostukraine. Die Angst vor einer Eskalation war der russischen Regierung sicherlich hilfreich: Sie hat eine entschiedenere Reaktion des Westens verhindert.
Die Angst ging so weit, dass sogar prominente Politiker und Intellektuelle bereit waren, den gesamten Konflikt umzudeuten: Im Herbst 2014 warnten 60 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur (darunter etwa Altkanzler Gerhard Schröder, Liedermacher Reinhard Mey und der Regisseur Wim Wenders) vor einem „Krieg in Europa“.
Sie meinten eine Auseinandersetzung zwischen Ost und West. Aber Krieg gab es zu dieser Zeit schon: In der Ostukraine starben damals täglich Menschen durch russische Invasionstruppen und Freiwilligenverbände. Aber was auch immer die Ukrainer wollten und forderten, es ging im Bibbern und Zähneklappern vor einem Dritten Weltkrieg unter.
Auch nun wird wieder gezielt Angst vor einer Eskalation geschürt.
Sofort nach dem amerikanischen Raketenangriff auf einen syrischen Militärflughafen war das Wort wieder da:
Weltkrieg!
„Jetzt droht ein #Weltkrieg“ – So reagiert die deutsche Politik auf den US-Angriff in #Syrienhttps://t.co/Mn3EHb8zJf pic.twitter.com/LXz1OSl92e
— RT Deutsch (@RT_Deutsch) 7. April 2017
Weltkrieg!!
„Warnschuss oder Weltkrieg?“ – Willy Wimmer warnt nach US-Angriff vor großem Elendhttps://t.co/YnIph7YDA0 pic.twitter.com/SfszZhcX8V
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 7. April 2017
Atomkrieg!!!
Erst bomben, dann überlegen? – US-Aktivisten warnen vor Atomkrieg wegen Syrienhttps://t.co/o0Yztu6Mwn pic.twitter.com/c8I4KbKzyI
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 8. April 2017
Und auch: Ölpreis-Schock. Noch so eine deutsche Ur-Angst.
US-Angriff auf Syrien treibt Ölpreis nach oben https://t.co/XcNK08kSbp pic.twitter.com/c97x921Aan
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 7. April 2017
Bald schon könnte die direkte Konfrontation losgehen.
Syrien: Zwischenfall-Risiko zwischen Russlands und USA rasant erhöht – Kremlhttps://t.co/m8UFniJDh6 pic.twitter.com/k2RdvU1Fn5
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 7. April 2017
Ausgerechnet der wichtigste britische Rechtspopulist gibt die Friedenstaube. Und den Mahner.
Auch @Nigel_Farage äußert sich kritisch: „Viele Trump-Wähler werden ob dieser Militär-Intervention besorgt sein. Wo wird das enden?“ #Syrien pic.twitter.com/Im1M8DiMW0
— RT Deutsch (@RT_Deutsch) 7. April 2017
Und wer das bis hier hin mit der Geopolitik noch nicht so recht verinnerlicht hat, für den hat Sputnik noch ein nettes Symboldbild gefunden.
Putin: US-Angriff auf Syrien schadet Beziehungen zu Russland https://t.co/RjDevxBWNq pic.twitter.com/DKIW9p6Hmt
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 7. April 2017
6. Schritt: Wut auf den Westen
Von nun an sind es nur noch ein paar Schritte, um die Wut auf ein mögliches Ziel zu richten: Den Westen und dessen stets zweifelhafte Absichten.
Der russische Präsident – dessen Truppen seit über zwei Jahren vollkommen ohne UN-Mandat in Syrien operieren – darf den Amerikanern einen „Bruch des Völkerrechts“ vorwerfen.
„Gegen das #Völkerrecht und unter weit hergeholtem Vorwand“: Kreml-Erklärung zu US-Angriff in #Syrien | #Homshttps://t.co/UfnFdmIz7R pic.twitter.com/7qLJBCd6sG
— RT Deutsch (@RT_Deutsch) 7. April 2017
Erinnerungen an den Irakkrieg werden geweckt.
Lawrow: Raketenangriff der USA in Syrien erinnert an deren Irak-Invasion https://t.co/qpKvwXOcbF pic.twitter.com/MPKXLWkJUD
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 7. April 2017
Den USA wird eine geheime Kooperation mit dem IS unterstellt.
USA müssen sich mit IS abgestimmt haben – syrischer Botschafter in Moskauhttps://t.co/9XXWqPfHtC pic.twitter.com/kKinNErra2
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 7. April 2017
Der Westen lügt – hat RT Deutsch exklusiv herausgefunden.
#EIL – RT Deutsch #Exklusiv: #WHO widerspricht westlicher Darstellung von Giftgas-Autopsie der Idlib-Opfer | https://t.co/ggr2stERak
— RT Deutsch (@RT_Deutsch) 7. April 2017
Der Westen hat überhaupt schon immer gelogen.
10 C-Waffen-Angriffe, die Washington verhehlen will – Medien https://t.co/XM0Iiq6hhx pic.twitter.com/3Jx3FGapox
— Sputnik Deutschland (@de_sputnik) 7. April 2017
Der Angriff war von langer Hand geplant.
Russisches Verteidigungsministerium: US-Luftschläge auf #Syrien waren von langer Hand geplant https://t.co/lm3OUb69Il pic.twitter.com/LQeW5hP0nn
— RT Deutsch (@RT_Deutsch) 7. April 2017
Eine „False-Flag-Operation“.
Machen False Flags immer noch Geschichte? Vorgeschobener Vorwand als politischer Stilhttps://t.co/RMBtfFgiFf pic.twitter.com/o4wyJXuEZH
— RT Deutsch (@RT_Deutsch) 7. April 2017
7. Und nicht vergessen: Verschwörungstheoretiker gibt es eigentlich gar nicht
Jahrestag einer Keule: Wie die CIA vor 50 Jahren den Begriff „Verschwörungstheoretiker“ erfand https://t.co/x3uD91aeZ8pic.twitter.com/3zG5jT4BvF
— RT Deutsch (@RT_Deutsch) 9. April 2017
Von Sebastian Christ – So versuchte die russische Propaganda, die Stimmung in Deutschland nach dem Syrien-Angriff zu vergiften (Huffington Post Deutschland, 10.4.2017)