Der russische Propagandist Wladimir Solowjow und eine Reihe von Kreml-Telegrammkanälen haben den Staffelstab bei der Verbreitung gefälschter Dokumente über die angebliche Präsenz von US-Biolabors in der Ukraine übernommen. In seinem Telegram-Kanal veröffentlichte er eine weitere Reihe von Dokumenten, die angeblich „die Einrichtung eines Netzes von Biolaboratorien in der Ukraine durch amerikanische Spezialisten in den frühen 2000er Jahren“ bestätigen. Diesmal handelt es sich um eine triviale technische Beschreibung der Projekte des Elektronischen Integrierten Krankheitsüberwachungssystems (EIDSS) und des Pathogen Asset Control Systems (PACS), die 2012 in mehreren ukrainischen Städten eingeführt wurden und nie als geheim eingestuft worden sind. Offenbar lesen die Propagandisten nicht einmal mehr, was sie beharrlich als „Beweis für die ukrainische Bedrohung“ auszugeben versuchen.
In den von Propagandisten veröffentlichten „Dokumenten“ ist einer der Orte, an denen solche Überwachungssysteme installiert wurden, unter anderem die ostukrainische Stadt Luhansk – im Zeiraum vor der Besetzung durch Russland 2014. Die Information, dass in der Stadt nach ihrer Besetzung durch prorussische Truppen „amerikanische Biolabore“ gefunden wurden, wurde jedoch aus irgendeinem Grund nicht früher veröffentlicht. Es stellte sich auch heraus, dass das EIDSS-System seit 2007 in einer Reihe von postsowjetischen Ländern wie Usbekistan, Kasachstan, Georgien, Aserbaidschan und Armenien erfolgreich in Betrieb ist. Außerdem stellte sich heraus, dass die von Solovyov veröffentlichten Dokumente auf der Website der amerikanischen Botschaft in der Ukraine frei öffentlich zugänglich sind. Soviel zu geheimen Dokumenten…
In russischen Medien und in Erklärungen von führenden Vertretern des Kremls tauchen seit 2016 immer wieder Fälschungen über eine angebliche Zusammenarbeit der Ukraine mit den Vereinigten Staaten bei der Entwicklung biologischer Waffen auf. StopFake berichtete über dieses Thema mehrfach. Doch seit Anfang 2022 haben diese Veröffentlichungen eine neue Dimension erreicht. So zitierten russische Propagandamedien am 6. März das russische Verteidigungsministerium mit der Aussage, dass „die ukrainischen Biolaboratorien, die sich in der Nähe des russischen Territoriums befinden, biologische Waffenbestandteile entwickeln“. Diese Informationen wurden von Vertretern der wissenschaftlichen Gemeinschaft – Mikrobiologen aus Schweden, Frankreich, Russland und Weißrussland – widerlegt. Sie untersuchten die Dokumente, die vom russischen Verteidigungsministerium als Beweismittel veröffentlicht wurden, und kamen zu dem Schluss, dass es sich dabei um Standardberichte über die Vernichtung von Laborstämmen von Viren handelt, die keine biologischen Waffen sein können. Doch bereits am 10. März erklärte der russische Generalmajor Igor Konaschenkow, ein Vertreter des russischen Verteidigungsministeriums, erneut, dass „Experimente mit Fledermaus-Coronavirus-Proben in den in der Ukraine eingerichteten und finanzierten Biolaboratorien durchgeführt wurden, wie aus den Dokumenten hervorgeht“.
Die neuen „Dokumente“, die der Kreml durch seine medialen Propagandisten in den Informationsraum wirft, haben nichts mit geheimen Entwicklungen zu tun, geschweige denn mit einer Bestätigung der „Tatsache“, dass die Vereinigten Staaten verbotene biologische Entwicklungen auf dem Territorium der Ukraine durchgeführt haben. Im Jahr 2005 unterzeichneten das ukrainische Gesundheitsministerium und das Verteidigungsministerium der Vereinigten Staaten ein Abkommen über die Zusammenarbeit bei der Verhinderung der Verbreitung von Technologien, Krankheitserregern und Kenntnissen, die für die Entwicklung biologischer Waffen verwendet werden könnten. Das in den veröffentlichten Dokumenten erwähnte EIDSS ist ein elektronisches Krankheitsüberwachungssystem, das die verschiedenen Ebenen des nationalen Überwachungsnetzes in Echtzeit miteinander verbindet. Diese rasche Weitergabe von Informationen an die Gesundheitsbehörden verbessert die Fähigkeit eines Landes, potenzielle Bedrohungen durch Ausbrüche gefährlicher Krankheitserreger zu überwachen und darauf zu reagieren. Das EIDSS integriert Daten über menschliche und tierische Krankheiten, demografische und geografische Informationen sowie klinische Anzeichen und Symptome spezifischer Krankheiten in einem einheitlichen Datensatz. Das EIDSS wurde im Rahmen des Globalen Programms zur Informatisierung der öffentlichen Gesundheit (GPHIP) entwickelt, das von den USA in Saudi-Arabien, Osteuropa, Süd- und Zentralasien gestartet wurde. Neben der Ukraine wurde das EIDSS auch in Usbekistan, Kasachstan, Georgien, Aserbaidschan und Armenien erfolgreich eingeführt.
Ein weiteres Projekt, das in den Unterlagen genannt wird, ist die Einrichtung eines Systems zur Verwaltung von Krankheitserregern (PACS). Es dient der Kontrolle, der Aufnahme, der Weitergabe, der Verbringung und der Vernichtung von Krankheitserregern sowie anderen Tätigkeiten, die mit biologischem Material durchgeführt werden. Nach eigenen Angaben der Entwickler wurde PACS in der Ukraine erstmals im November 2009 im Testbetrieb im Vorläufigen Zentralen Referenzlabor für besonders gefährliche Krankheitserreger (TCDL) des Ukrainischen Forschungsinstituts zur Bekämpfung der Seuche in Odessa (URAPI) installiert. Die Existenz dieses Programms wurde ebenfalls nicht klassifiziert oder verheimlicht. Darüber hinaus wurde es von einem technischen Supportteam in Kyjiw und Moskau gewartet.
Wie absurd die Behauptungen der Kreml-Propagandisten über das angebliche Vorhandensein „biologischer Waffen in der Ukraine“ sind, zeigt auch die Tatsache, dass die von ihnen veröffentlichten Projektaufstellungen immer noch auf der offiziellen Website der US-Botschaft in der Ukraine unter der Rubrik „Biological Threat Reduction Programme“ zu finden sind. StopFake konnte feststellen, dass von dort aus einige westliche Verschwörungstheoretiker diese Dokumente bereits am 26. Februar über ihre Telegrammkanäle verbreiteten. Diese Anspielungen wurden von der Beteuerung begleitet, dass diese Dokumente vor der militärischen Invasion Russlands in der Ukraine eilig von der Website entfernt worden seien. Die Dokumente sind jedoch weiterhin auf der Website öffentlich zugänglich. Nach Angaben des Web.archive-Dienstes sind sie dort seit mindestens 2017 zu finden und waren zuvor für den Kreml völlig uninteressant. Aber für die Verbreitung neuer „Beweise“ über die Existenz gefährlicher Biolabors in der Ukraine durch deutsche Verschwörungstheoretiker und Propagandisten waren sie sehr nützlich.