Was macht ein Kiewer Neonazi in der französischen Nationalversammlung, das wollen französische Abgeordnete wissen – lauteten letzte Woche die Schlagzeile von Sputnik auf Französisch. Die Anwesenheit eines Neonazi und eines Antisemiten verärgert die französischen Abgeordneten, erklärte der französische Ableger des russischen Senders RT. Diese beiden vom Kreml finanzierten Medien, die der französische Präsident Emmanuel Macron als Propagandaorgane bezeichnete, verbreiteten eine gefälschte Geschichte, in der behauptet wurde, dass der Besuch des ukrainischen Parlamentspräsidenten Andriy Parubiy am 11. Juni in Frankreich die Parlamentarier des Landes empört habe.
RT France veröffentlichte zwei Artikel über Parubiys Besuch in Frankreich, die ihn jedes Mal als Neonazi bezeichnen.
Der französische Ökonom Olivier Berruyer, der Gründer der Webseite Les Crises, nannte den Besuch von Parubiy in Frankreich „skandalös“. Berruyer ist ein Vertreter, der oft Verschwörungstheorien verbreitet. Er ist ein Befürworter der Moskauer desinformativen Version der Ereignisse in der Ukraine und hat sich eine erhebliche Bekanntheit für die Förderung dieser Ansichten erworben. Berruyers negative Berichterstattung über Parubiys Besuch wurde dann von französischen Seiten der RT und Sputnik aufgegriffen.
Am Vorabend des Besuchs von Parubiy legte Sputnik France mit einem Artikel über Radikale der ukrainischen Svoboda-Partei den Grundstein für diese gefälschte Geschichte. Die Geschichte hatte nichts mit einem Ereignis zu tun, welches vor kurzem stattgefunden hatte. Nachdem Berruyer seine Hetzrede gegen Parubiy veröffentlicht hatte, begannen RT France und Sputnik aktiv Les Crises zu zitieren, in Anspielung auf den angeblichen Antisemitismus und Neonationalismus des ukrainischen Parlamentspräsidenten der Ukraine.
Trotz unzähliger französischer Artikel, die klar und deutlich darlegen, dass die Ukraine eben nicht eine Brutstätte des Nationalismus ist, stellen pro-Kreml Medien die Ukraine weiterhin als ein Land dar, das von Faschisten regiert wird, die eine Gefahr für die europäische Stabilität darstelle. Tatsächlich haben radikale Parteien in der Ukraine in der Bevölkerung keinerlei bis extrem wenig Unterstützung. Bei den letzten Parlamentswahlen erhielten sie kaum Unterstützung und schafften es nicht mal über die Sperrklausel in das ukrainische Parlament. Selbst die ehrwürdige französische Publikation Liberation hat darüber berichtet.
Was stimmt ist, dass Andriy Parubiy in seiner Jugend Mitglied der Swoboda-Partei, einer konservativen, nationalistischen, rechtsorientierten Partei in der Ukraine war. Er verließ Svoboda aber bereits vor mehr als 14 Jahren, am Vorabend der Orangenen Revolution 2004. Im Jahr 2007 wurde er vom liberalen pro-europäischen Nasha Ukraina-Block des ehemaligen Präsidenten Viktor Yushchenko ins Parlament gewählt.
Fünf Jahre später wurde er auf der von der ehemaligen Premierministerin Julia Timoschenko geführten Batkivshchyna-Parteiliste wieder ins Parlament gewählt. Während der Maidan-Proteste war Parubiy der Kommandant der Zeltstadt auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz Maidan. Nach der russischen Annexion der Krim und dem Ausbruch des Krieges in der Ostukraine leitete Parubiy den Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrat der Ukraine. Im Jahr 2016 wurde er zum Parlamentspräsidenten des ukrainischen Parlaments gewählt.
Parubiy hat den radikalen Nationalismus bereits vor einiger Zeit verlassen. Heute ist er Mitglied der gemäßigten Mitte-Rechts Partei von Narodnyj Front. Parubiy als Neonazi zu bezeichnen ist beispielsweise ähnlich wie François Mitterrand einen Präsidenten der extremen Rechten zu nennen. In seiner Jugend, am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, war der französische Präsident auch Mitglied ultra-konservativer und rechtsradikaler Organisationen.