Ukrainische Soldaten, die im Gefangenenlager von Oleniwka untergebracht waren, können nicht durch einen ukrainischen Angriff verletzt oder getötet worden sein. Die Verantwortung für den Angriff, in dem die russische Seite ukrainische Verteidiger des Asowstahlwerks gefangen hielt, liegt eindeutig bei den russischen Streitkräften. Die Schlussfolgerungen internationaler Experten (ISW), aktuelle OSINT-Untersuchungen und abgehörte Gespräche beweisen, dass die ukrainischen Streitkräfte das Gefängnis in Oleniwka (Region Donezk), nicht angegriffen haben. Alle verfügbaren Indizien deuten auf eine russische Verantwortung hin, die absichtliche die ukrainischen Gefangenen töteten.
StopFake hat die Fakten und Ereignisse im Zusammenhang mit der Tragödie in Oleniwka analysiert. Am 29. Juli erschien in allen russischen Propagandaseiten wie RIA Novosti, Radio Sputnik, Vzglyad, REN TV, Lenta.ru, Life.ru, Voennoe Obozrenie, Russkaya Vesna, Federal News Agency, RG.ru und vielen anderen die Meldung, dass ,,Kyjiw HIMARS auf ein Gefangenenlager in der DNR mit Asow-Gefangenen abgefeuert hat“.
In der Nacht vom 28. auf den 29. Juli kam es in einem Hangar auf dem Gebiet der ehemaligen Kolonie Nr. 210 zu einer Explosion. Nach vorläufigen Informationen befanden sich etwa 200 Personen auf dem Gelände. Sie alle waren Angehörige der ukrainischen Armee, die von der russischen Seite gefangen gehalten wurden. Bei der Explosion starben 53 Menschen, die Zahl der Verletzten übersteigt 75. Genauere Angaben über die Zahl der Toten und Verletzten liegen nicht vor, da das russische Militär Vertretern internationaler humanitärer Organisationen den Zutritt zum Ort der Tragödie verwehrt.
Russische Propagandamedien versuchen mit aller Macht, die Verantwortung für die Tragödie auf Kyjiw abzuwälzen, mit dem Ziel die Verbündeten der Ukraine davon zu überzeugen, dass die ukrainischen Streitkräfte westliche Waffen für Angriffe auf Zivilisten oder Gefangene einsetzen und damit gegen das Völkerrecht verstoßen.
Die mediale Vorbereitung des Angriffs
Narrativ 1: Wie Stopfake jedoch herausfand, begannen russische Propagandamedien bereits vor zwei Monate Informationen zu verbreiten, dass die Ukraine die Tötung der Asow-Gefangenen plane. Schon damals wurde in russischen Medien behauptet, dass ,,die Briten einen Angriff mit Mehrfachraketenwerfer–Artilleriesystem als Versuch der russischen Streitkräfte darstellen wollen„, ,,die Hinrichtung und Folterung der Gefangenen zu vertuschen und dann über den Butscha-Themen abzuhauen“.
Narrativ 2: Parallel dazu wurde ein anderes Narrativ in den russischen Medien gefördert. Darin wird der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj persönlich beschuldigt, ,,die Liquidierung von Asow-Soldaten angeordnet zu haben, die über seine Verbrechen in der Gefangenschaft berichtet haben“. Um diese Fälschung zu bestätigen, hat der russische Propagandist Andrey Rudenko mehrere Videos mit gefangenen Asow-Soldaten aufgezeichnet und auf Telegram veröffentlicht.
Die Gefangenen wurden unter Druck gezwungen, alles zu gestehen, was die russische Propaganda wollte. Dazu gehört auch, dass die Gefangenen angeblich vom Büro des Präsidenten Selenskyj den Auftrag zu brutalen Morden erhalten hat. Dieses so genannte ,,entlarvende“ Video erschien am Vorabend der Tragödie in der Kolonie.
Wenig überraschend war der Propagandist Rudenko am Tag des Angriffs/Brandes in der Kolonie, als einer der ersten am Ort des Geschehens und veröffentlichte das Video mit der Überschrift ,,Selenskyj hat seine eigenen Leute hingerichtet“. (Achtung: Video 18+, Bilder von toten Menschen!)
Das Narrativ, dass Selenskyj für die ,,Hinrichtungen“ verantwortlich sei, wurde nicht nur in den Medien des Kremls verbreitet, sondern auch vom Sprecher der russischen Staatsduma, Wolodin, geäußert.
Ein Auszug aus den Worten Wolodins zur Verdeutlichung: Er wiederholt die Argumente von vor zwei Monaten. ,,Präsident Selenskyj und Washington stecken hinter dem Raketenangriff auf das Gefängis in Oleniwka. Dies geschieht zu einem einzigen Zweck: um einen neuen Nürnberger Prozess zu verhindern, in dem Nazi-Häftlinge [Asow-Soldaten, Anm. StopFake] aussagen würden. Washington und Kyiw beseitigen die Zeugen ihrer Verbrechen gegen die Menschlichkeit, damit die Bürger der europäischen Staaten und der USA sich nicht von ihnen abwenden und die Lieferung von Waffen und Munition fortgesetzt wird“, sagte Duma-Sprecher Wolodin.
Faktencheck
Doch schon nach den ersten Überprüfungen beginnt die Geschichte zu zerfallen, dass ,,Selenskyj allen befohlen hat, mit HIMARS alle Gefangene zu zerstören“.
- Die erste Meldung zum Angriff erscheint um 03:07 Uhr (Moskauer Zeit) am 29. Juli und besagt, dass ,,ukrainische Truppen Oleniwka beschossen und 12 Granaten des Kalibers 152 Millimeter abfeuerten.“ Die M31 GUMLRS-Raketen, mit denen die HIMARS bewaffnet sind, haben aber ein Kaliber von 227 mm. Irgendwas kann nicht stimmen.
- Zunächst ist nur von ,,Beschuss mit Granaten des Kalibers 152mm“ die Rede, während das so genannte Gemeinsame Kontroll- und Koordinierungszentrum für Waffenstillstand und Stabilisierung der Demarkationslinie der so genannten Donezker Volksrepublik in der Nacht zum 29. Juli nach den ,,Explosionen“ in Oleniwka keinerlei Hinweise auf etwaige HIMARS-Einschläge angibt.
Die ersten Berichte über Luftangriffe auf die Kolonie in Oleniwka erscheinen erst 10-12 Stunden nach der Veröffentlichung von RIA Novosti.
Und nur 12 Stunden später erscheint im Telegramm-Kanal des russischen Propagandajournalisten Rudenko eine Nachricht: ,,Das erste Video aus der Kolonie Oleniwka, die nachts von HIMARS beschossen wurde.“ Dies ist der erste Fall, in dem das Wort HIMARS erwähnt wird.
Es ist wichtig zu wissen, dass Rudenkos Videos bei hellem Tageslicht gedreht wurden, wenn die Sonne bereits hoch steht. Er hat kein Filmmaterial, das nachts oder frühmorgens gedreht wurde. Es gibt auch keine Videos von Augenzeugen, die den ,,Angriff auf die Kolonie“ gefilmt haben. Es gibt auch kein Video von den Mitarbeitern der Kolonie, die an den Löscharbeiten am Brandort beteiligt waren.
Widersprüche über Widersprüche
Es gibt widersprüchliche Informationen über das Personal der Kolonie. Eine Vertreterin de so genannten DVR, Darija Morozowa, sagt (00:50 auf dem Video), dass ,,das Personal des Gefangenenlagers glücklicherweise nicht verletzt wurde“. Gleichzeitig meldete aber das russische Verteidigungsministerium, das Gegenteil wonach ,,acht Mitarbeiter des Gefangenenlagers unterschiedlich schwer verwundet wurden.„
Diese Diskrepanz in den Versionen der Gefängnismitarbeiter bestätigt deren Abwesenheit zum Zeitpunkt der Explosion.
Es sei auch darauf hingewiesen, dass die Kriegsgefangenen speziell kurz vor den Ereignissen in einen Hangar im Industriegebiet der Kolonie verlegt wurden.
Das erste, was auf den veröffentlichten Videos seltsam aussieht, ist der Rauch der auf den Bildern zu sehen ist, 12 Stunden nach dem Beschuss.
Gleichzeitig ist die Zerstörung im Inneren des Gebäudes minimal. Es gibt keinen Krater von der Rakete. Sogar die Betten blieben unversehrt. Die Wände sind nur verbrannt, aber es gibt keine Schrapnellspuren.
Das dünne Metalldach des Hauses hielt dem Einschlag der HIMARS-Raketen stand, entgegen allen Gesetzen der Ballistik. Anderen Medien wurde es sogar verboten das Dach von innen zu filmen, wohl aus gutem Grund, wie zu sehen ist.
In einem ersten Video vom Ort der Tragödie liegen die Leichen in einer chaotischen Reihenfolge. In einem späteren Video sind sie jedoch in einer Reihe angeordnet, sodass sie für die Kamera in einer Reihe einfach gefilmt werden konnten. Viele Menschen in Schutzwesten und blauen Helmen sind vor Ort, um die Leichen und die Zerstörung zu filmen.
Das ukrainische Verteidigungsministerium, der Geheimdienst der Ukraine SBU und der Menschenrechtsbeauftragte der Werchowna Rada gaben eine gemeinsame Erklärung zu den Ereignissen in Oleniwka ab. Sie bezeichneten das russische Vorgehen als ,,zynischen Terrorakt“ und erklärten, dass die ukrainische Seite keine ,,Raketen- oder Artillerieangriffe auf Oleniwka“ durchgeführt habe und bezeichneten die Ereignisse als ,,organisierten Mord an ukrainischen Kriegsgefangenen“.
Indiz abgehörte Telefongespräche:
Der Geheimdienst der Ukraine (SBU) hat zusätzlich abgehörte Telefongespräche veröffentlicht, in denen die Besatzer bestätigen, dass russische Truppen für die Explosion in der besetzten Kolonie Oleniwka verantwortlich waren. Den abgehörten Gesprächen der Soldaten nach zu urteilen, könnten die Russen die Tragödie durch den Einsatz von Sprengstoff verursacht haben, den sie auf dem Gelände der Strafkolonie platziert hatten. Diese Version wird durch die Tatsache bestätigt, dass keiner der Augenzeugen hörte, wie eine Rakete in die Kolonie flog. Es war kein charakteristisches Pfeifen zu hören, und die Explosionen erfolgten von selbst.
Die abgehörten Gespräche bestätigten, dass die Insassen ihre Grad-Raketenwerfer in der Nähe des Gefängnisses aufgestellt und auf ukrainisch kontrolliertes Gebiet abgefeuert hatten. Es wurde jedoch kein Gegenfeuer beobachtet, was von Vertretern der so genannten DNR selbst bestätigt wurde.
Nicht beschädigte Fenser an anderen Häusern:
Der Geheimdienst der Ukraine SBU erklärte außerdem, dass nach dem im Internet verfügbaren Video zu urteilen, die Fenster in einigen Räumen der Strafkolonie völlig intakt waren. Dies deutet darauf hin, dass sich das Epizentrum der Explosion im Inneren des zerstörten Gebäudes befand, dessen Wände die Druckwellen ,,dämpften“ und die Nachbargebäude verschonten.
Der ukrainische Analyst Kirill Danilchenko wies auch auf die Art der Schäden hin, die nicht mit denen übereinstimmen, die von HIMARS-Raketen hinterlassen wurden. Die Bilder zeigen Schäden, die für thermobarische Geschosse charakteristisch sind. Es gibt zwar verkohlte Leichen, aber die Metallbetten sind völlig intakt.
Falscher Einschlagwinkel:
Die vermeintlichen Raketen sollten von Westen her abgefeuert worden sein, doch der Einschlag traf die Ostseite des Gebäudes und beschädigte folglich das Dach auf der Ostseite. Höchstwahrscheinlich kam der Schlag von der östlichen Seite (auf dem Foto rechts – Anm. d. Red.). Danilchenko vermutet, dass ein Шмель-Flammenwerfer für den Beschuss verwendet worden sein könnte.
Die Folgen der Explosion in der Kolonie von Oleniwka sind nicht typisch für die Folgen von HIMARS-Mehrfachraketenwerfern. Zu diesem Ergebnis kam auch das US-amerikanische Institute for the Study of War (ISW).
,,Kreml-nahe Medien veröffentlichen Videos des Gefangenenlagers, die Brandschäden zeigen. Sie ähneln nicht denen eines HIMARS-Angriffs“, heißt es im ISW-Bericht.
Das Institute for the Study of War erklärte, die von der russischen Seite vorgelegten Fragmente könnten nicht als Beweis dienen: ,,RIA Novosti veröffentlichte auch Bilder von HIMARS-Raketensplittern, lieferte aber keine Beweise dafür, dass die Fragmente in Oleniwka gefunden wurden“, so der ISW-Bericht.
StopFake hat selbst zumindest einige Artikel gefunden (hier und hier), die Fragmente von HIMARS-Raketenmunition zeigen. Sie können jedoch nicht dazu verwendet werden, den Ort oder den Zeitpunkt des Angriffs zu bestimmen. Vor allem aber ist es unmöglich zu überprüfen, ob alle Fragmente auf dem Foto zu derselben Munition gehören.
Drei Stunden nach der Veröffentlichung von Filmmaterial mit Fragmenten von angeblichen HIMARS-Raketen aus Oleniwka wurden dieselben Bilder zur Illustration der ,,HIMARS-Zerstörung der Eisenbahn in der Region Saporischschja“ verwendet. Sie hatten jedoch nicht immer die Zeit, darauf hinzuweisen, dass diese Bilder aus dem Archiv stammen.
Zusammenfassung und Fazit:
Russische Propagandisten hatten sich mehr als zwei Monate lang auf den Beschuss von Oleniwka vorbereitet. Sie haben Videos mit anti-ukrainischen Narrativen produziert um die ukrainische Seite für den Angriff zu bezichtigen. Doch tatsächlich verstrickten sich die Propagandisten in ihren eigenen Lügen. Zunächst konnten sie nicht entscheiden, ob sie die Kolonie mit Haubitzen oder mit HIMARS beschossen hatten. Dann waren sie verwirrt darüber, wie viele Mitarbeiter der Kolonie bei dem Beschuss verletzt worden waren. Und ob es überhaupt Angestellte gab. Die Art der Zerstörung zeigte, dass das Gebäude von der Seite beschossen wurde, die von der russischen Armee und nicht von der ukrainischen kontrolliert wurde. Außerdem konnte nie nachgewiesen werden, dass die auf der Bank liegenden Raketensplitter von der ukrainischen Seite auf die Kolonie abgefeuert wurden. Und der von den Propagandisten erfundene ,,HIMARS-Angriff“ war so schwach, dass er nicht einmal das Dach zerstörte oder die Metallbetten bewegte.