Massiver Anstieg an Antisemitismus in der Ukraine, ukrainische Verherrlichung für Faschisten – das waren die Schlagzeilen, die Ende April von vielen russischen pro-Kreml Medien verbreitet wurden. Ausgangspunkt für diese Geschichte war ein Brief an den stellvertretenden US-Außenminister von 56 US-Kongressabgeordneten, dass das US-Außenministerium auffordert diplomatischen Druck auf die Ukraine und Polen auszuüben, weil behauptet wird, dass der Antisemitismus in beiden Ländern zunimmt.

Website RT
Website RIA
Website Ukraina.ru

RT auf Russisch, RIA Novosti, Ukraina.ru und anderen Pro-Kreml-Medien haben diese Geschichte pflichtbewusst verbreitet.

Der Brief an das Außenministerium wurde auf der offiziellen Homepage des demokratischen kalifornischen Repräsentanten Ro Khanna veröffentlicht. (Ro Khanna ist selbst ein Gegner, Waffenlieferungen für die Ukraine zu unterstützen.) Der Brief behauptet, dass die ukrainische Regierung Antisemitismus finanziert und dass das Land Nazi-Kollaborateure verherrlicht, kritisiert die Benennung der Straßen nach Roman Shukhevych und Stepan Bandera. Der Brief lehnt die Aktivitäten des „nationalistischen“ Asow-Bataillons ab, den die Kongressabgeordneten mit dem ukrainischen Innenminister Arsen Avakov verbinden.

„Wir fordern Sie auf, sich mit uns und Menschenrechtsorganisationen gegen Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und jede Form von Intoleranz zu stellen, indem Sie die polnische und ukrainische Regierung auffordern, Holocaust-Verzerrungen, die Ehrung von Nazi-Kollaborateuren und die vollständige Verfolgung antisemitischer Verbrechen eindeutig abzulehnen. Wir bitten Sie auch, uns zu erläutern, welche Schritte die US-Regierung unternimmt, um Fälle von Holocaust-Verzerrungen zu überwachen und sicherzustellen, dass die USA keine Gruppen und Einzelpersonen unterstützen oder finanzieren, die Antisemitismus fördern oder rechtfertigen“, heißt es in dem Brief.

StopFake dokumentiert nachfolgend die Aussagen des ukrainischen Innenministeriums:

Das ukrainische Innenministerium gibt in einer Stellungnahme an Journalisten Antwort auf die in dem Brief formulierten Kritikpunkte und sagt, dass das Ministerium und die Ukraine kategorisch gegen die Unterdrückung von nationalen Minderheiten vorgeht und wies darauf hin, dass das „Asow“-Bataillon eine Spezialeinheit innerhalb der Nationalgarde der Ukraine ist, die die territoriale Integrität der Ukraine im Kampf schützt und ausschließlich im Rahmen der ukrainischen Gesetze arbeitet.

Das Innenministerium gibt auch an, dass die Ukraine sehr engagiert im Kampf gegen Antisemitismus ist und wies darauf hin, dass ukrainische Behörden im vergangenen Jahr eine kriminelle Vereinigung festgenommen hat, die Synagogen, architektonische und historische Sehenswürdigkeiten und Wallfahrtsorte in der Ukraine angegriffen und zerstört hatte. Das Ministerium gibt an, dass solche subversiven Aktivitäten häufig von russischen kriminellen Gruppen durchgeführt werden.

Volodymyr Viatrovych, der durchaus nicht unumstrittene Direktor des Nationalen Instituts für Erinnerung in der Ukraine, den die Unterzeichner des Briefes beschuldigen, Nazi-Kollaborateure zu verherrlichen, beaufsichtigt das Dekommunisierungsprogramm der Ukraine. Seiner Meinung nach sei der Brief: „ein Echo sowjetischer oder russischer Propaganda und kein Spiegelbild der realen Situation in der heutigen Ukraine“.

In einem op-ed Artikel für The Hill, schreibt Kristofer Harrison, dass Ro Khanna von Russland getäuscht wurde, um ihre Propaganda zu befördern. Kristofer Harrison arbeitete für Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und war ein außenpolitischer Berater für die Präsidentschaftskampagne von Senator Ted Cruz. Er arbeitet für AMS, einem Unternehmen, das sich auf russische Informationskriegsführung spezialisiert hat, mit Büros in Washington und Kiew.

„Es ist lächerlicher Unsinn, dass die Ukraine von einem Haufen Nazis heimgesucht wird. Die Russen haben diese Dummheit schon eine Weile verbreitet. In Russland, wenn Sie jemanden diskreditieren wollen, nennen Sie ihn einen Nazi. Putin benutzt es, um seinen Krieg vor seinen Untertanen zu rechtfertigen. Die Russen sind nicht besonders scharf darauf, die Ukraine anzugreifen. Aber wenn es darum geht, sie vom Joch der Nazis zu befreien, dann ist das anders“, schreibt Harrison.

Antisemitismus in der Ukraine, real oder imaginär, war und ist ein beliebtes Thema für Russlands Desinformationsmedien. Ende März waren die russischen Medien mit Geschichten überflutet, die behaupten, dass der Antisemitismus in der Ukraine explodiert sei, aber die Behörden des Landes hätten es sehr sorgfältig versteckt. So berichten die Kreml-treuen Medien nicht, dass die Ukraine das niedrigste Niveau des Antisemitismus in der Mittel-und Osteuropa hat. Dies zeigen die Ergebnisse einer kürzlich durchgeführten Umfrage des Pew Research Center in 15 mittel- und osteuropäischen Ländern. Bemerkenswerterweise, laut der Studie ist der Antisemitismus in Russland dreimal so hoch wie in der Ukraine.

Unmittelbar nach der Krim-Annexion und dem Kriegsbeginn in der Ost- Ukraine, haben russische Medien eine aggressive Kampagne gestartet, um die Ukraine als Brutstätte von Antisemitismus darzustellen. Auch tausende pro-europäische Maidan-Demonstranten wurden grundlos dauerhaft als Nazis und Faschisten gebrandmarkt. Ein von RT veröffentlichtes Video vom März 2014 behauptete, Juden würden Kiew wegen des wachsenden Antisemitismus massenhaft verlassen. Das Video zeigt Rabbi Mikhail Kapustin, wie er seine Taschen packt und sagt, dass er „um seiner selbst und der Sicherheit seiner Kinder willen“ geht, und wegen einer angeblich zerstörten Synagoge in Kiew. Das Video zeigte aber tatsächlich Simferopols Hauptsynagoge auf der Krim, die zerstört wurde, nachdem Russland die ukrainische Halbinsel annektiert hatte. Rabbi Kapustin, der Hauptrabbiner der Krim, ging tatsächlich, aber er floh nicht vor ukrainischen Ultra-Radikalen, sondern vor den neuen russischen Behörden, die die Krim besetzt hatten.

Nach der Annexion der Krim ging Rabbi Kapustin in die Slowakei und forderte Unterstützung für die Ukraine gegen ihre Angreifer.

Die Ukraine als antisemitisch zu bezeichnen, ist eine offizielle Politik des Kremls. Der russische Präsident Wladimir Putin nutzte dieses Argument, um seine Krim-Annexion zu rechtfertigen. Er nannte die Maidan-Proteste einen Putsch von Nationalisten, Neonazis, Russophoben und Antisemiten.

Seitdem gehen die russischen Vorwürfe des Antisemitismus in der Ukraine unvermindert weiter. Im Januar 2016 hat Putin Juden Schutz vor Antisemitismus in Russland vorgeschlagen und beschuldigte im Juli letzten Jahres sogar die USA des Antisemitismus.