Auf einer von der amerikanischen Helsinki-Gruppe organisierten Tagung wurde über den russischen Imperialismus und die Notwendigkeit der Entkolonialisierung Russlands diskutiert. Von einer Teilung der Russischen Föderation war nicht die Rede. Dekolonisierung bedeutet nicht die Teilung eines Staates, sondern die Beendigung von Beziehungen, in denen eine Staat die politische Kontrolle über ein anderes Land oder Territorium übernimmt und es für ihre eigenen Zwecke nutzt. Die Karte, auf der eine der Optionen für die Aufteilung Russlands in mehrere souveräne Staaten dargestellt ist, hat nichts mit diesem Treffen zu tun. Ein Bild der Karte war bereits 2021 online.
Der russische Propagandist Dmitri Kisseljow sagte zur besten Sendezeit im Fernsehsender Rossiya 1, dass die Vereinigten Staaten angeblich ernsthaft einen Plan zur Teilung Russlands entwickeln. Insbesondere verwies Kisseljow auf die Aktivitäten der Kommission für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (auch bekannt als US-Helsinki-Kommission), die angeblich ein Projekt mit dem Titel ,,Decolonisation of Russia: a moral and strategic imperative“ entwickelt hat.
,,Zur Veranschaulichung gibt es hier auch eine Karte, auf der sie uns in 17 Teile und Stücke zerschneiden“, komentiert Kisseljow vor dem Hintergrund der Karte, die angeblich von der amerikanischen Abteilung der Helsinki-Gruppe erstellt wurde, ,,Es gibt große – die Republik Russland, zum Beispiel, Komi, die Ural-Republik – alles separate Staaten. Dann gibt es noch die Republik Sibirien, die Republik Sacha, die Fernöstliche Republik. Dann gibt es noch die kleineren Staaten Burjatien, Tuwa und Altai. Schließlich kleine Enklaven, wie Triebe auf der Karte Russlands: die Nordkaukasus-Föderation, Mordowien, Tschuwaschien, Marij El, Tatarstan, Baschkortostan, Kalmückien und Udmurtien… Da sitzen wir nun und rumpeln fleischfressend über die Karte des modernen Russlands. Es ist ein sehr lästiges Land, das einem anderen Land auf dem Weg zur Weltherrschaft im Wege steht. Kraftvoll und ruhig. Der Kreml sieht das alles.“
Propagandamagazine wie Vesti, Readovka, Military Review, Glas und andere haben ebenfalls darüber geschrieben, dass die USA angeblich einen Plan zur Teilung Russlands entwickeln.
Fakt: Auf der Website der amerikanischen Helsinki-Gruppe findet sich eine Veranstaltung mit dem Titel ,,Decolonizing Russia: A Moral and Strategic Imperative“. Sie hat jedoch nichts mit den „Plänen für die Teilung Russlands“ oder der veröffentlichten Karte zu tun.
Der Moderator Bachti Nischanow sagte zu Beginn des Treffens, die Diskussion werde sich mit den ,,grundlegenden Ursachen für Russlands aggressive und brutale Politik“ befassen. Dieses Verständnis wird uns helfen, versichert Nischanow, ,,eine Politik zu entwickeln und Ideen vorzustellen, die Russland wirklich eindämmen und einen dauerhaften Frieden auf dem eurasischen Kontinent und darüber hinaus schaffen können.„
,,Die Ukraine ist nicht der erste Fall, und wenn (Russland – Anm. d. Red.) nicht gestoppt wird, wird es nicht der letzte sein“, so der Moderator des Treffens, ,,Russland führt seit Jahrzehnten Kriege gegen die Völker Tschetscheniens, Syriens und Georgiens. Diese Aggression löst auch eine längst überfällige Diskussion über Russlands internes Imperium aus, da Russland die indigenen Völker einer nicht-russischen Nation beherrscht und der Kreml versucht hat, deren Selbstdarstellung und Selbstbestimmung zu unterdrücken.“
Das heißt, bei dem von der US-Helsinki-Gruppe organisierten Treffen ging es um den russischen Imperialismus und die Notwendigkeit der Entkolonialisierung Russlands. Von einer Teilung der Russischen Föderation war nicht die Rede.
Nach der Terminologie der Vereinten Nationen bedeutet der Begriff Entkolonialisierung die Beendigung einer Beziehung, in der eine Metropole die politische Kontrolle über ein anderes Land oder Gebiet übernimmt und dessen wirtschaftliches, natürliches und menschliches Potenzial für ihre eigenen Zwecke nutzt. Die Autoren der New World Encyclopedia schreiben, dass die Entkolonialisierung durch Unabhängigkeit, Integration mit der Verwaltungsmacht oder einem anderen Staat oder durch die Schaffung des Status einer ,,freien Assoziation“ erreicht werden kann.
StopFake fand in diesem Zusammenhang auch einen Artikel von Casey Michelle, einem der Diskussionsteilnehmer von ,,Decolonize Russia“ gefunden. Der Autor schreibt, dass Russlands Geschichte eine Geschichte fast ununterbrochener Expansion und Kolonisierung ist und dass Russland das letzte europäische Reich ist, das sich selbst elementaren Bemühungen um eine Dekolonisierung widersetzt, wie etwa seinen Untertanen Autonomie und ein bedeutendes Mitspracherecht bei der Wahl seiner Führer zu geben.
,,Die Entkolonialisierung Russlands würde nicht notwendigerweise seine vollständige Demontage erfordern. Das Streben nach Entkolonialisierung könnte sich stattdessen darauf konzentrieren, den in der russischen Verfassung versprochenen demokratischen Föderalismus zu mehr als einem leeren Versprechen zu machen. Dies würde bedeuten, dass alle russischen Bürger, unabhängig von der Region, endlich ein Mitspracherecht bei der Wahl ihrer Politiker hätten. Selbst eine einfache Anerkennung von Russlands kolonialer Vergangenheit und Gegenwart würde etwas bewirken“, schreibt der Forscher.
Das heißt, es geht gar nicht um die Teilung des Staates, sondern um die Beendigung des Verhältnisses „Metropole-Kolonie“.
Kreml-Propagandisten behaupten auch, dass auf einer Sitzung der US-Helsinki-Gruppe angeblich eine Karte künftiger Staaten anstelle der Russischen Föderation erstellt wurde. Dies ist jedoch eine Lüge. Eine Karte, auf der eine der Optionen für die Aufteilung Russlands in mehrere souveräne Staaten dargestellt ist, hat nichts mit diesem Treffen zu tun. Wir konnten sie weder auf der Seite der Sitzung noch auf dem Video der Diskussion finden.
Außerdem ist diese Karte seit 2021 frei verfügbar. Es ist auch auf Wikipedia auf der ukrainischsprachigen Seite ,,Rozpad Rosiye“ veröffentlicht. Die Beschreibung der Karte besagt, dass ihr Autor ein Benutzer mit dem Spitznamen ,,Kaiyr“ ist und sie am 5. Februar 2021 erstellt wurde.
StopFake hat zuvor unwahre Informationen widerlegt, wonach die USA Kissinger angeblich ,,gezwungen“ hätten, die Idee einer ,,Abgabe“ ukrainischer Gebiete an Russland aufzugeben.
