Von EUvsDisinfo – Selbsthilfe durch kremlfreundliche Desinformation (EUvsDisinfo, 16.11.2017)
Bei Neuerfindungen geht es meist eher um die Erschaffung einer bestimmten Zukunft, als um das Auslöschen der Vergangenheit. Von diesen Regeln ist die kremlfreundliche Desinformation eine Ausnahme: dort ist Geschichtsrevisionismus ein beliebtes Werkzeug, das grenzenlos einsetzbar scheint.
Diese Woche konnte man bei kremlfreundlichen Desinformationen eine Vielzahl von Geschichtsfälschungen beobachten. Zum Beispiel wurde die beeindruckende Anzahl der Opfer des Kommunismus als „aus dem Hut gezogen“ abgelehnt. Ebenso wurde behauptet, dass Georgien Russland 1801 freiwillig beigetreten sei, obwohl es sich in Wahrheit um die Annexion des (damaligen) Königreiches Kartli-Kacheti handelte. Die Wortwahl erinnert an eine andere Annexion, die erst kürzlich stattfand.
Oder wie steht es um die auf dem staatlich kontrollierten TV-Sender Pervyi Kanal gemachte Forderung, nach der die EU Russland für Völkermord während des Zweiten Weltkriegs entschädigen solle, da europäische Armeen in die UdSSR einmarschiert und Millionen Menschen getötet hätten? Der Beitrag der alliierten europäischen Kräfte zur Bekämpfung des Faschismus wird dabei übergangen und die Tatsache ignoriert, dass die EU erst nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet wurde.
Europa wurde auch anderer Gräueltaten beschuldigt. In einer anderen Sendung des staatlich kontrollierten Fernsehkanals Rossija 1 wurde behauptet, dass Europa die massenhafte Hungersnot in der UdSSR—in der Ukraine als Holodomor bekannt—verursacht habe. In Wirklichkeit war die Hungersnot ein Ergebnis der Politik Stalins; im Falle der Ukraine wurde dies in verschiedenen internationalen Resolutionen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt.
Man konnte auch ein offizielles Aufpolieren der russischen Vergangenheit beobachten. Es wurde behauptet, dass es sowjetische Soldaten waren, die während des Zweiten Weltkriegs 50.000 bulgarische Juden vor der Deportation ins Nazi-Deutschland retteten. Tatsächlich waren es vereinte Kräfte des bulgarischen Volkes, der Orthodoxen Kirche und bulgarischer Anführer, die etwa 50.000 Juden aus Sofia vor der Deportation ins Nazi-Deutschland retteten.
Fakten vor Ort falsch darstellen
Der Krieg in der Ukraine blieb diese Woche Top-Thema kremlfreundlicher Desinformation. Wir sahen spezielle Desinformationen, die auf die internationalen Beobachter in der Ukraine abzielten, und fake news über ukrainische Streitkräfte.
Eine Nachricht in kremlfreundlichen Medien lautete, dass die ukrainischen Streitkräfte einen Jungen in Donezk durch Artilleriebeschuss umgebracht hätten. Tatsächlich wurde laut den örtlichen Donezker Behörden der tragische Tod des Jungen von einer nicht explodierten Mine verursacht. Dies wurde auch von der Besonderen Beobachtermission der OSZE für die Ukraine (kurz SMM) gemeldet, welche diese Informationen verfolgte und zu demselben Ergebnis kam wie die örtlichen Behörden. Die SMM wurde danach vom russischen Staatsfernsehen beschuldigt, nicht unabhängig zu handeln; in einer beliebten Fernsehsendung wurde behauptet, dass die unabhängige Beobachtermission Anweisungen aus Westeuropa erhielt, worüber sie zu berichten hätte. Für diese Anschuldigungen wurde kein Beweis vorgelegt. Mehr über die OSZE SMM lesen.
Die Idee einer friedenssichernden Mission in der Ukraine wurde in letzter Zeit diskutiert. Das russische REN TV trug zur Diskussion bei, indem es behauptete, dass eine derartige Mission in einem Völkermord enden würde. Wie wir schon mehrmals zuvor hervorgehoben haben, wird der Ausdruck „Völkermord“ regelmäßig in kremlfreundlichen Desinformationen benutzt, um Angst zu schüren. Üblicherweise hat diese Verwendung keinen Zusammenhang zu einem tatsächlichen Völkermord.
Weiterhin wurde das ukrainische Militär beschuldigt, auf der Suche nach Rekruten ein katholisches Kloster überfallen zu haben; die ukrainischen katholische Kirche widerlegte diese Behauptung. Außerdem wurde, offensichtlich ohne Sinn für Ironie, Russland als Garant für die Sicherheit der Ukraine ausgemacht. Da Russland einen Teil der Ukraine annektiert hat und die Separatisten im Osten des Landes unterstützt, finden wir, dass diese Aussage weiterer Erklärung bedarf.
Aber der Höhepunkt der kremlfreundlichen Desinformationswelle diese Woche war die Tatsache, dass das russische Verteidigungsministerium Bilder aus einem Computerspiel als unwiderlegbaren Beweis benutzte, dass die USA den Islamischen Staat unterstütze. Die gesamte Dokumentation von Bellingcat Die gesamte Dokumentation von Bellingcat lesen. Diese Taktik wurde nicht zum ersten Mal benutzt. Es ist ermutigend zu sehen, wie immer mehr internationale Medien diese Nachrichten teilen und dabei helfen, diese besonders kindische Form der Desinformation zu widerlegen.
Von EUvsDisinfo – Selbsthilfe durch kremlfreundliche Desinformation (EUvsDisinfo, 16.11.2017)