Die Gefahr, die von den russischen Wahlkampfmanipulationen im Westen ausgeht, wird unterschätzt. Moskaus Einmischung ist inakzeptabel und erfordert eine entschlossenere Gegenwehr.
Ein Seufzer der Erleichterung ging durch Europa, als Emmanuel Macron am vergangenen Wochenende die Wahl an die Spitze Frankreichs schaffte. Das Schreckgespenst einer Machtübernahme der autoritär-nationalistischen Partei von Marine Le Pen scheint damit gebannt; die zweitgrösste Volkswirtschaft der Euro-Zone bleibt auf berechenbarem Kurs. Doch das Gefühl, sich nun beruhigt zurücklehnen zu können, ist fehl am Platz. Dies liegt nicht nur an Macron, der die in ihn gesteckten Hoffnungen kaum wird erfüllen können. Anlass zur Sorge ist auch, dass Frankreich – wie zuvor schon die USA – Opfer einer von aussen gesteuerten Kampagne zur Beeinflussung der Wahlen wurde. Das Muster war dasselbe wie im Vorjahr bei den amerikanischen Demokraten: Hacker verschafften sich mithilfe von betrügerischen E-Mails Zugang zu Computern des Macron-Lagers, erbeuteten interne Dokumente und enthüllten diese kurz vor der Wahl mit dem Ziel, den Favoriten in ein schlechtes Licht zu rücken.
Angriff auf die Demokratie
Anders als in den USA ging das Kalkül diesmal nicht auf. Die Publikation erfolgte viel zu knapp vor der Wahl, als dass sie noch eine Wirkung hätte erzielen können. Aber dies ist nur ein schwacher Trost, denn die Drahtzieher der Desinformationskampagne werden sich damit nicht geschlagen geben, sondern aus diesem Fehler die nötigen Lehren für ihre nächste Aktion ziehen. Einmischungen wie diese drohen zu einem ständigen Begleiter von westlichen Wahlkämpfen zu werden.
Das ist inakzeptabel, denn solche Angriffe zielen mitten ins Herz der Demokratie. Sie schüren Verunsicherung, untergraben das Vertrauen in die Fairness von Wahlen und bergen das unkalkulierbare Risiko, dass Falschinformationen in fataler Weise die Machtverhältnisse eines Landes beeinflussen. Bereits wächst die Nervosität, dass Deutschland im Vorfeld der Bundestagswahlen vom September das nächste Ziel der Demokratie-Saboteure werden könnte. Die Voraussetzung dafür ist bereits geschaffen, denn in den letzten zwei Jahren drangen Hacker erfolgreich in die Computersysteme des Bundestags und der regierenden CDU ein.
Wer hinter all diesen Angriffen steckt, ist längst kein echtes Geheimnis mehr. Eine Fülle von Indizien deutet auf die russische Führung hin. Das ist nicht nur die Einschätzung der amerikanischen, britischen und deutschen Geheimdienste, sondern auch jene von diversen Computersicherheitsfirmen. Hackerangriffe lassen sich zwar kaum je mit hundertprozentiger Sicherheit zuordnen. Aber die Methoden der Eindringlinge und die Spuren, die sie dabei hinterlassen, geben Experten wertvolle Anhaltspunkte. Sie legen den Schluss nahe, dass diese und weitere Cyberangriffe das Werk von ein und derselben Gruppe waren. Sie ist in der Branche unter Namen wie APT 28, Pawn Storm und Fancy Bear bekannt und gilt als Schöpfung des russischen Geheimdiensts.
Unter Beobachtung seit rund einem Jahrzehnt, treten diese Cyberkämpfer seit 2014 immer aggressiver auf, verfügen offenbar über ein hohes Budget und bemühen sich kaum noch, ihre Spuren zu verwischen. Sie verwenden Programme mit russischen Spracheinstellungen, operieren während Moskauer Bürozeiten und hinterlassen beim Verändern gehackter Dokumente manchmal sogar russische Namen. Nicht zuletzt deuten die gewählten Ziele – Behörden, Parteien und Politiker in Nato-Staaten sowie regimekritische Gruppen in Russland – auf den Kreml als Auftraggeber hin. Dass die Angriffe ebenso gut von China oder einer Einzelperson ausgehen könnten, wie Präsident Trump spekuliert, wirkt vor diesem Hintergrund völlig abwegig.
Information wird zur Waffe
Computerüberwachung gehört seit langem zum Geschäft der Geheimdienste, und ginge es allein um Spionage, wäre dies vielleicht ein tolerierbares Übel. Neu ist jedoch, dass Russland Hackerangriffe ausführt, um die erbeuteten Daten anschliessend für Desinformationskampagnen zu nutzen. In dieser Kombination wird Information gleichsam zur Waffe umfunktioniert, getreu der Doktrin von Generalstabschef Waleri Gerasimow, wonach militärische Mittel in modernen Konflikten nur noch eine untergeordnete Rolle spielen.
So innovativ der russische Ansatz ist, so wenig kann er seine Wurzeln in der Sowjetzeit verleugnen. Als Präsident Putin in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre als KGB-Agent in der DDR stationiert war, gehörten «Einflusskampagnen» zum täglichen Brot der kommunistischen Geheimdienste. Um es im Stasi-Jargon jener Zeit auszudrücken, galt es, «wahre, überprüfbare und diskreditierende» Informationen mit «unwahren, nicht überprüfbaren und damit ebenfalls diskreditierenden Angaben» zu kombinieren. Der damalige Leiter der berüchtigten Abteilung X des DDR-Auslandgeheimdiensts, Rolf Wagenbreth, formulierte es salopper: «Unsere Freunde in Moskau nennen es Desinformazija, unsere Feinde in Amerika nennen es Active Measures, und ich nenne es meine Lieblingsbeschäftigung.»
Desinformazija gehört heute auch zu den Lieblingsbeschäftigungen Putins. Die moderne Kommunikationsgesellschaft bietet Mittel, von denen er als junger Agent nur träumen konnte. Geografische Distanzen sind dank dem Internet irrelevant geworden, Online-Plattformen wie Wikileaks helfen bei der Enthüllung diskreditierender Dokumente, und Roboterprogramme sorgen dafür, dass sich Propaganda automatisiert und im Nu via soziale Netzwerke verbreitet. Die Demokratie im eigenen Land zu ersticken, reicht dem Kreml heute nicht mehr, er will sie auch im Ausland manipulieren. Dies fügt sich ein in Russlands Ziel, den Westen zu schwächen und auf der Weltbühne als Grossmacht gefürchtet zu werden. In seine Hackerbrigaden und Propagandakanäle steckt Putin Milliarden von Dollar; gleichwohl ist es ein kostengünstiges Instrument, viel billiger jedenfalls als ein konventioneller Militäreinsatz.
Langzeitgift in Amerika
Um einen Krieg im Sinne von Clausewitz – die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln – handelt es sich trotzdem. Und als Form von Kriegführung sollte der Westen es auch betrachten, wenn er seine Reaktionen abwägt. Gewiss, in Frankreich ist Moskau spektakulär gescheitert. Die Kredite für den Front national, Putins Empfang für Le Pen im Kreml, das Hacking und die Schlammschlacht gegen Macron – all dies war vergeblich. In den USA hingegen lässt sich ein Erfolg nicht abstreiten.
Zwar wäre Trump wohl auch ohne Putins Hilfe gewählt worden. Aber das Ziel, Amerika von innen her zu schwächen, hat Moskau erreicht. Der Streit um die russische Einmischung in den Wahlkampf wirkt wie ein Langzeitgift, das die amerikanische Politik lähmt. Die rechtsstaatlich dubiose Absetzung des FBI-Chefs, der Trumps Russland-Verflechtungen nachspüren wollte, war diese Woche ein weiteres Omen dafür, dass Washington in eine eigentliche Staatskrise schlittern könnte.
Vor diesem Hintergrund wirkt es tragisch, dass die traditionelle Vormacht der freien Welt ausgerechnet von einem Präsidenten regiert wird, der keinerlei Sensibilität für die Gefahr aus Moskau hat und sein Volk darüber konstant belügt. Trotzdem ist es nötig, Putin in die Schranken zu weisen. Dabei reicht es nicht, die westliche Cyberabwehr technisch und personell aufzurüsten. Es braucht auch ein neues Konzept der Abschreckung. Russland muss glaubhaft zu spüren bekommen, dass weitere Manipulationskampagnen schmerzhafte Vergeltung zur Folge hätten. Schliesslich verfügt auch der Westen über ein reichhaltiges Arsenal von nichtmilitärischen Mitteln. Denkbar ist die verstärkte Verfolgung russischer Hacker, die häufig mit der kriminellen Unterwelt verbandelt sind, ebenso wie das Einfrieren von Vermögenswerten des Putin-Regimes im Westen. Eine Diskussion darüber ist nötig, bevor der Kreml seine unverfrorenen Angriffe auf die Fundamente der westlichen Demokratie weiter intensiviert.