Aric Toler ist seit 2015 Mitarbeiter bei Bellingcat. Er hat seinen MA in Slawistik und Literatur an der Universität von Kansas im Jahr 2013 absolviert, wobei er sich auf russische Literatur und Geistesgeschichte konzentrierte. Nach dem Studium arbeitete er für zwei Jahre als Aufklärungsspezialist im Privatbereich. Bei Bellingcat schreibt Aric nun Überarbeitungen, Forschungsartikel und Übersetzungen (Russisch-> Englisch) v.a. Artikel zu Russland, der Ukraine und Osteuropa.
Darüber hinaus leitet er Workshops für Journalisten in Open-Source-Untersuchungen, der Verifizierung und im Bereich digitale Forensik. Einige seiner Schwerpunkte sind die Überprüfung von russischen Medien, der Krieg in der Ostukraine, der russische Einfluss auf die Extreme Rechte in Amerika und in Europa und die laufende Untersuchung im Fall MH17.
Wir trafen Aric Toler im Mai auf dem Lviv Media Forum, wo er Bellingcats jüngste Untersuchungen präsentierte. Wir fragten ihn zu aktuelle Entwicklungen in seinen eigenen Forschungen und seine Ansichten zu Ereignissen in der Ukraine.
Sie arbeiten mit Open-Source-Recherchen (OSINT) für das Recherchenetzwerk Bellingcat und produzieren regelmäßige Berichte zu Themen, wie dem Abschuss von MH17. Im Moment haben sie bereits ein interessiertes Fachpublikum erreicht. Aber wie planen Sie noch ein größeres breiteres Publikum zu erreichen bzw. auch den Einzug in Mainstream-Medien zu erreichen?
Aric Toler: Eine große Strategie, die wir im letzten Jahr verfolgt haben, war es dass wir OSINT-Recherchen bzw. Verifikationsmethoden bei Mainstream-Medien vorstellen. Damit sollten unsere Untersuchungsmethoden weiter verbreitet werden und mehr Autoren damit vertraut gemacht werden. Wir wissen jetzt schon, wie zuverlässig diese Methoden sind, wenn jemand mit einer richtigen Ausbildung und einem scharfen Auge sie an der richtigen Stelle einsetzt. Aber wenn sie von solchen Publikationen wie der New York Times genutzt werden, werden sie der Öffentlichkeit noch mehr bekannt. Dies trifft vor allem auf die Arbeit von Malchy Browne zu, der mit seinen letzten Untersuchungen über Syrien und Erdogans Leibwächter, viele offene Quellen verwendet hat. Diese Veröffentlichungen machen dann wiederum unsere Arbeit noch fruchtbarer.
Was ist Ihre Botschaft: Haben Sie Vorschläge, wie wir unsere Strategien verbessern könnten, um eine höhere Reichweite für unsere Analysen zu erreichen?
Ich denke, unsere Untersuchungsmethoden sind in der Ukraine und in Russland bereits äußerst populär, dank der Arbeit von uns und anderen (FBK, InformNapalm, CIT, und natürlich von StopFake). Wir hoffen, dass die Verwendung der OSINT-Methoden in diesen Ländern weiter gestärkt wird, auch mit Workshops für russischsprachige User, welche wir selbst anbieten. Beispielsweise war darunter auch ein Workshop, den ich im Dezember 2016 zusammen mit StopFake-Kollegen in Kiew geleitet habe, in der wir uns auf die Regionen Kaukasus und Zentralasien konzentrieren.
Vor einigen Wochen hat der Präsident der Ukraine Petro Poroshenko einen Anordnung verabschiedet, um den Zugang zu russischen sozialen Netzwerke wie Vkontakte und Odnoklassniki für ukrainische IPs zu sperren. Er erklärte seine Entscheidung als eine Notwendigkeit, Ukrainer vor russischer Propaganda zu schützen. Aus einer anderen Perspektive betrachtet, ergibt sich aber ein anderes Bild: Vkontakte selbst bietet umfassende Informationsquellen über die russische Invasion in der Ostukraine. Bellingcat hat dies selbst auch oft in seinen Arbeiten bewiesen. Wie würden Sie diese politische Entscheidung der ukrainischen Regierung bewerten?
Ich bin entschieden gegen jede Art von Zensur; in jedweder Art und Weise. Ich denke, dass diese Entscheidung mehr schadet als hilft. Ich verstehe die Sorgen um Propaganda und Sicherheitsfragen rund um VK, aber die Vorteile für die Sperrung von VK und der andere Seiten sind nicht so stark wie die Argumente für eine Abschaltung der Seiten. Auf den ersten Blick fühlt es sich für mich an wie ein Schritt, den eher die Türkei machen würde, als den Schritt einer europäischen Demokratie. Ich bin mir aber auch bewusst, dass diese Beurteilung nicht ganz fair ist, da die Ukraine von Russland überfallen wurde, und die erwähnten Homepages aus Russland stammen. Wobei die Angriffe in der Türkei rein auf Zensur und auf die Einschränktung der Meinungsfreiheit abzielen.
Haben Sie selbst bereits Bedrohungen erhalten? War Bellingcat selbst Ziel von Hackerangriffen?
Ja, es gab Versuche von Phishing-Attacken. Mehr darüber können ihre Leser hier erfahren: Siehe hier
Glauben Sie, dass Fakten Propaganda in der sogenannten „post-truth“ Epoche bekämpfen können? Wenn etwas, was gerade gesagt wurde, ohne einen einzigen realen Beweis, politische Entscheidungen und Geopolitik beeinflussen kann? Brauchen Journalisten neue Werkzeuge, um Propaganda und gefälschten Nachrichten effektiv zu widerstehen?
Ich glaube nicht, dass Werkzeuge die Antwort auf diese Fragen sind. Das häufigste Grund warum gefälschte Nachrichten verbreitet werden, ist die Faulheit. Sehen Sie den aktuellen Bericht, der von der NYT veröffentlicht wurde; über die gefälschte Geschichte von einer elektronischen Störung und einem amerikanischen Flugzeug über dem Schwarzen Meer. Das hätte von Journalisten gestoppt werden können, die mehr verantwortungsbewusst sind und die Informationsquellen besser verstanden hätten. Kein Werkzeug dieser Welt kann diese Fahrlässigkeit stoppen
Interview: StopFake Deutsch