Erst denken, dann teilen. Bildnachweis: unsplash.com / Jacob Ufkes

Von Jutta KrammDen Fake News keine Chance (Correctiv, 25.09.2017)


Vier Wochen lang haben Faktenprüfer von CORRECTIV und First Draft zusammengearbeitet und tägliche Falschmeldungen aufgespürt. Eine Bilanz in sechs Thesen.

Das Video ist verwackelt. Ein paar Dutzend Menschen sind zu sehen, sie haben dunkle Haut, tragen lange weiße Gewände. Sie warten an einer Bushaltestelle. Darunter schreibt einer mit dem Account-Namen „Ich will mein Land zurück“: „Heute morgen in Leipzig. Nein man kann wirklich nicht von #Islamisierung, #Umvolkung oder #Verfremdung sprechen. Bitte teilen und Seite liken.“ Es ist der 9. September 2017. Der Film wird viele tausend Mal auf Facebook verbreitet.

Wir haben die Sache überprüft. Tatsächlich zeigt das Video Christen aus Afrika in traditioneller Festtagskleidung. Sie kommen gerade von einer Taufe.

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Das ist eines der Beispiele von Falschmeldungen, die wir in den vergangenen Wochen aufgespürt und entlarvt haben. Es ist typisch für all die Fakes, mit denen sich unser WahlCheck17-Team in den vergangenen Wochen beschäftigen musste. Die Leipziger Islamisierungslüge ist unter dem Radar der breiten Öffentlichkeit geblieben, sie kursierte in rechten Kreisen. Dort wurde sie verbreitet und sollte Empörung wecken.

Seit Ende August haben wir von CORRECTIV und „First Draft“, zwei gemeinnützige Journalistenorganisationen, mit einem 18köpfigen Team Desinformationen und Lügen gesucht und gefunden und Faktenchecks dazu veröffentlicht. In unserem täglichen Newsletter „WahlCheck17“ haben wir Journalisten und andere Interessierte über Fake News und Desinformationskampagnen informiert.

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WahlCheck17 bei der Arbeit | Quelle: Christof Brüggemeier

Wir haben viel gelernt über dieses Land, und vor allem darüber, wie sich auch bei uns, Stimmungen im Netz erkennen, Mehrheiten suggerieren und möglicherweise steuern lassen. Wir haben unsere Erkenntnisse in sechs Thesen zusammengefasst.

1. No Fake News is good news

Diese Wahl wurde nicht durch eine Fake News, etwa durch eine große und absichtlich verbreitete politische Lüge entschieden. Das ist gut. Ganz offenkundig, und das bestätigen ja sämtliche Umfragen, vertrauen die Deutschen in ihrer breiten Mehrheit noch den traditionellen und seriösen Medien, den großen und kleinen Tageszeitungen im Land, der „Tagesschau“, dem „heute-Journal“ usw. Und sie misstrauen eher dem, was sie in Facebook und auf Twitter finden.

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Quelle: pwc

Die beiden Plattformen, die bei der Verbreitung von Falschmeldungen gern genutzt werden, spielen in Deutschland bei weitem keine so große Rolle wie in den USA oder auch Großbritannien. Der politische Diskurs findet noch nicht vorwiegend im Netz statt. Noch sind viel zu wenige Menschen beispielsweise auf Twitter unterwegs.

So gut wie alle Verzerrungen, aus dem Zusammenhang gerissene Geschichten, die wir beobachtet haben, sind nur von tausend, meist sogar nur von einigen hundert Menschen geteilt worden. Deshalb wurden sie von der breiten Öffentlichkeit auch gar nicht bemerkt.

Und möglicherweise war auch jenen Wahlkämpfern, die Misinformationen verbreiten, klar, dass sie mit einer großen und absurden Fake-Geschichte wie etwa „Pizzagate“ 2016 in den USA, nicht erfolgreich gewesen wären. Nach der breiten Diskussion über Fake-News im US-Wahlkampf scheint die Öffentlichkeit sensibilisiert zu sein für die Gefahr.

2. Das Gift der kleinen Lügen

Vielleicht wurde aber auch bewusst eine andere Strategie gewählt. Wir haben viele kleine Falschinformationen wahrnehmen müssen – Memes, Bildmontagen, halbwahre Behauptungen, Verdrehungen oder falsch ausgewählte Zahlen und Daten. Fast immer ging es dabei um die Themen Flüchtlingspolitik, Migration, Asyl und Kriminalität von Zuwanderern.

Die Verbreiter solcher Falschnachrichten greifen offenbar Ängste vieler Menschen vor dem Fremden und vor einem kulturellen Identitätsverlust auf. Und sie bedienen damit zugleich den Rassismus in diese Gesellschaft. Oder sie schüren Sorgen bewusst weiter. Viele kleine dieser Erzählungen, die nur lokal oder regional, nur in kleinen Kreisen und möglicherweise geschlossenen Facebook-Gruppen zirkulieren, entfalten dort – davon gehen wir aus – Wirkung. Sie werden aber bislang selten oder überhaupt nicht widerlegt: Für Faktenprüfer sind sie schwieriger zu finden. Und ihre große Zahl macht es mühsam, sie alle zu entlarven – zumal niemand derlei Gerüchte erst durch einen Bericht darüber prominent machen will.

3. Der Fake kommt von rechts

So gut wie alle nennenswerten Missinformationen wurden im rechten Milieu verbreitet. Die AfD hat in den vergangenen vier Wochen eine extrem provozierende und polarisierende Wahlkampagne geführt. Ihre Anhänger – und in den letzten Tagen vor der Wahl auch ihr Spitzenpersonal – haben sich als Hauptverbreiter von Falschmeldungen hervorgetan. Das bestätigen unsere Faktenchecks und Forschungen und Thesenpapiere von Experten.

4. Russische Bots schlafen – fast

Bis zum Samstag vor der Wahl haben sämtliche Botforscher, mit denen wir gesprochen haben und die uns mit ihren Analysen versorgten, keine nennenswert einflussreiche Bot-Aktivität und Troll-Aktionen aus Russland bestätigt. Die Bots, die im Einsatz waren, haben überwiegend für die AfD gearbeitet. Sie machten zwischen sieben und zwölf Prozent des Twitter-Traffics aus.

Erst am Samstag wurde, so Social-Bot-Experte Ben Nimmo, ein Netzwerk aktiviert, das offenbar zu arbeiten begann, um – im Fall eines schwachen Abschneidens der AfD – das Thema Wahlbetrug massiv bespielen zu können.

4. Wut und Empörung. Analog wie digital

Die Wutwelle, die seit August viele Auftritte Angela Merkels begleitete, hat auch das Netz dominiert. Schon in den Wochen vor dem Straßenwahlkampf war das klar erkennbar. Die Straßenproteste wurden auch online organisiert. Das Netz, die sozialen Foren, waren ein Indikator für die anschwellende Wut. Wer laut schreit – wer viel Falsches twittert –, suggeriert eine Stimmung und eine nicht vorhandene Mehrheit. Und arbeitet daran, den politischen Diskurs zu verschieben. Für eine konstruktive Diskussion und für rationale Auseinandersetzungen ist dann kein Platz mehr.

5. Sie sind gekommen, um zu bleiben

Falschmeldungen, Verzerrungen und bewusst verbreitete Halbwahrheiten hat es immer gegeben, gerade in Wahlkämpfen. Sie können aber schneller und gezielter verteilt werden im digitalen Zeitalter. Dieser Wahlkampf hat gezeigt: Die deutsche Öffentlichkeit ist reif und fähig zu aufgeklärter politischer Debatte. Aber es gibt einen großen Teil in dieser Gesellschaft, der sich dieser Auseinandersetzung inzwischen entzieht und empfänglich ist für Missinformationskampagnen. Das positive Echo auf viele der kleinen und großen Lügen und Halbwahrheiten legt nahe, dass diese Methode mit dem 24. September nicht ausgeschöpft ist. Die Verbreiter von Negativ-Kampagnen haben, das ist zu befürchten, gerade erst angefangen. Sie haben in diesem Sommer geübt.

6. Erst denken, dann teilen

Fake News sind nicht die Ursache und nicht der Grund für den Wahlerfolg der AfD. Fake News sind nicht das Problem, sondern der Ausdruck eines Problems. Aber sie sind Gift für die Demokratie. Deshalb ist es nötig, sich ihnen entgegenzustellen und auf eine aufgeklärte, auf Wahrheit basierte politische Diskussion zu bestehen. Die Enttarnung von Desinformationen und Faktenchecks ist notwendig, um die freie Meinungsbildung und unser Zusammenleben als tolerante Gesellschaft zu gewährleisten.

Faktenchecks sind deshalb auch wichtiger Teil der digitalen Medienbildung geworden. Sie üben ein in das Prinzip: „Erst denken, dann teilen“. Denn auch das haben wir gelernt: Viel mehr Medienbildung ist nötig, wenn jeder und jede von uns zugleich Sender und Empfänger von Informationen ist und Journalisten nicht mehr als Gate-Keeper dazwischen geschaltet sind.

Nötig ist aber auch, herauszufinden, warum Fakes überhaupt ihre Wirkung entfalten können: Warum sind so viele Menschen bereit, Gerüchte zu glauben und zu verbreiten? Nur wenn es gelingt, den Gesprächsfaden zu den Wütenden und Verängstigten wieder aufzunehmen, haben Fakes keine Chance.


Von Jutta KrammDen Fake News keine Chance (Correctiv, 25.09.2017)

Die Autorin ist Leiterin des Fact-Checking-Teams beim Recherchezentrum Correctiv. Die Redaktion finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Wenn Sie Correctiv unterstützen möchten, werden Sie Fördermitglied. Informationen finden Sie unter correctiv.org