Pro-Russische Medien haben bei der Angabe von Zahlen vergessen zu erwähnen, dass die Daten über die Russische Föderation mit einer Fußnote an die UNO übermittelt werden. Das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen wies darauf hin, dass es sich bei diesen Zahlen um Schätzungen handelt und keine Informationen darüber vorliegen, wie viele der in die Russische Föderation ausgereisten Ukrainer in die Ukraine zurückgekehrt sind bzw. in andere EU-Länder weitergereist sind. Für die Bewohner der vorübergehend besetzten ukrainsichen Gebiete ist die Route durch Russland praktisch die einzige Möglichkeit, der russischen Besatzung zu entkommen.
Russische Pro-Kreml-Medien sowie die Telegrammkanäle verbreiten die Nachricht, dass angeblich die meisten Geflüchteten aus der Ukraine nach Russland ausgereist sind. Dies zeige, dass Russland vergeblich ,,unvorstellbarer Verbrechen gegen ukrainische Flüchtlinge“ beschuldigt werde und dass eine weitere ,,der Hauptmythen der ukrainischen Propaganda“ nun angeblich durch ,,trockene Statistiken“ des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) widerlegt sei.
,,Es stellt sich heraus, dass sie von Aggressor zu Aggressor rennen“, hieß es ,,ironischerweise“ in einem Telegramm-Kanal.
Tatsächlich hat die russische Propaganda ,,vergessen“, darauf hinzuweisen, dass die Daten über ukrainische Geflüchtete in der Russischen Föderation mit Fußnoten versehen sind. Nach Angaben des UNHCR leben in der Russischen Föderation die meisten ukrainischen Geflüchteten (Stand: 02.08.) – 1.968.127. Das Amt weist jedoch darauf hin, dass ,,die Zahl der im Land registrierten Geflüchteten eine Schätzung ist, da mögliche weitere Vertreibungen oder Rückführungen zum jetzigen Zeitpunkt nicht berücksichtigt werden können“. Das UNHCR macht daher keine Angaben darüber, wie viele Geflüchtete aus der Ukraine vorübergehend in der Russischen Föderation Asyl beantragt haben oder wie viele Geflüchtete anschließend die Grenze wieder überquert haben, um in die Ukraine oder in andere EU-Staaten zurückzukehren.
Einem aktuellen UNHCR-Bulletin zufolge gibt es in Europa über 6,3 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine. Mehr als 3,7 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine haben sich für vorübergehenden Schutz oder ähnliche nationale Schutzprogramme registrieren lassen. Seit dem 24. Februar wurden mehr als 10,3 Millionen Ausreisen aus der Ukraine und mehr als 4,2 Millionen Rückreisen in das Land registriert.
Außerdem sind die von den russischen Propagandisten genannten Zahlen möglicherweise stark übertrieben. Im Mai 2022 analysierte das Projekt Global Disinformation Lab der University of Texas in Austin beispielsweise Satellitenbilder an den Grenzen zwischen Russland und der Ukraine sowie zwischen der Ukraine und Polen und stellte fest, dass der Unterschied im Datenverkehr frappierend ist.
,,Die Analyse kommerzieller Satellitenbilder der russisch-ukrainischen Grenze deutet darauf hin, dass die russische Regierung die Zahl der ukrainischen Flüchtlinge, die nach Russland einreisen, möglicherweise übertrieben hat. Wahrscheinlich hat der Kreml die offiziellen Statistiken über die aufgenommenen ukrainischen Flüchtlinge erweitert, um den russischen Bürgern und russischsprachigen Bürgern ein positives Bild des Krieges zu vermitteln und den Einsatz in der Ukraine zu rechtfertigen“, so die Projektanalysten.
Diejenigen Ukrainer, die am häufigsten nach Russland gingen, hatten nicht einmal eine Wahl: Unter Verstoß gegen die Genfer Konvention zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten führt Russland Zwangsdeportationen durch, und die Ukrainer müssen sogenannte „Filtrationslager“ durchlaufen, darunter auch Kinder, die dabei von ihren Eltern getrennt werden können. US-Außenminister Anthony Blinken stellte in einem separaten Bericht über die Deportation von Ukrainern durch Russland fest:
,,Die russischen Behörden trennen ukrainische Kinder absichtlich von ihren Eltern und entführen andere aus Waisenhäusern, bevor sie sie zur Adoption in Russland freigeben. Augenzeugen und Überlebende von Filterationsoperationen, Inhaftierungen und Zwangsdeportationen berichten von häufigen Drohungen, Schikanen und Fällen von Folter durch russische Sicherheitskräfte. Dabei erheben und speichern die russischen Behörden Berichten zufolge auch biometrische und personenbezogene Daten, setzen Zivilisten aggressiven Durchsuchungen und Verhören aus und zwingen ukrainische Staatsbürger zur Unterzeichnung von Verträgen über den Verbleib in Russland, wodurch sie an der freien Rückkehr in ihre Heimat gehindert werden“.
Mindestens 18 Filtrationslager auf beiden Seiten der ukrainisch-russischen Grenze wurden in Russland entdeckt, sagte der stellvertretende Leiter der US-Mission bei der OSZE, Courtney Ostrian. Ihr zufolge waren diese Lager bereits vorbereitet worden, bevor Russland mit seiner groß angelegten Invasion in der Ukraine begann.
Eine Organisation, Helping to Leave, die insbesondere Geflüchteten hilft, Russland zu verlassen, bestätigt ebenfalls, dass Ukrainer, die nach Russland evakuiert werden, keine Wahl haben, wohin sie geschickt werden, und dass sie verhört, eingeschüchtert und unter Druck gesetzt werden, damit sie behaupten, Opfer des Rechten Sektors oder des Asow-Regiments zu sein. Auch andere Organisationen, die Ukrainern helfen, sprechen darüber. Wichtig festzuhalten ist auch, dass für die Bewohner der vorübergehend besetzten Gebiete der Weg durch Russland oft der einzige Weg zurück in die Ukraine ist.
Zuvor hatte der litauische Seimas eine Resolution verabschiedet, in der er die Abschiebung von Ukrainern nach Russland als Deportation des ukrainischen Volkes bezeichnete und die internationale Gemeinschaft aufforderte, eine ähnliche Erklärung abzugeben und für diese Verbrechen Rechenschaft zu fordern.
StopFake hat wiederholt darauf hingewiesen, wie Russland das Thema der ukrainischen Geflüchtetetn in seiner Propaganda einsetzt und die Behauptung verbreitet, dass die Ukrainer freiwillig und massenhaft nach Russland gehen. Sie können darüber lesen in: Fake: Alle Flüchtlinge aus der Ukraine gehen freiwillig nach Russland & Fake: Fast alle Flüchtlinge aus Mariupol wollten nach Russland.