Vor dem Hintergrund einer möglichen russischen Großoffensive gegen die Ukraine und der zunehmenden Eskalation des Konflikts im Donbas hat die russische Pro-Kreml-Desinformation wieder einmal eines ihrer klassischen Narrative über einen ukrainischen Chemieangriff entstaubt. Pro-Kreml Medien überschlagen sich mit Meldungen, wonach „ukrainische Saboteure versucht hätten, Chlorbehälter in einer Kläranlage im Gebiet Horliwka in die Luft zu sprengen“. (Horliwka ist ein regionales Bergbauzentrum etwa 40 Kilometer nordöstlich von Donezk, gegenwärtig nicht unter der Kontrolle der Kijiwer Regierung). Gleichzeitig warnen andere russische Publikationen vor einer weiteren „ukrainischen Sabotagegruppe“, die versucht haben soll, die Ammoniaktanks der Düngemittelfabrik Horlivka Stirol zu sprengen.
Die Ukraine ist nicht an chemischen Sabotageakten in den von Russland besetzten Regionen der Oblaste Donezk und Luhansk beteiligt. Während sich Moskaus Rhetorik aufheizt und sich immer mehr russische Truppen an den Grenzen der Ukraine versammeln, erhöhen die russischen Medien weiter den Einsatz und destabilisieren den Informationsraum, um einen Vorwand für eine umfassende Invasion in der Ukraine zu finden.
In den vergangenen zwei Wochen haben westliche Geheimdienste wiederholt davor gewarnt, dass Russland einen Vorwand für eine Invasion zu fabrizieren plant. Einen Tag (17. Februar) vor dem Auftauchen einer Fälschung über „ukrainische Sabotagegruppen“ im Donbas skizzierte US-Außenminister Anthony Blinken vor dem UN-Sicherheitsrat einen Plan für einen russischen Angriff auf die Ukraine. Blinken sagte, der Kreml werde „Sabotage“ mit chemischen Waffen inszenieren oder sogar durchführen, um einen Angriff Russlands auf die Ukraine zu rechtfertigen.
„…als Reaktion auf diese künstliche Provokation könnten die höchsten Ebenen der russischen Regierung theatralisch Dringlichkeitssitzungen einberufen, um die so genannte Krise zu behandeln. Die Regierung wird Proklamationen herausgeben, in denen erklärt wird, dass Russland reagieren muss, um russische Bürger oder ethnische Russen in der Ukraine zu verteidigen” sagte Blinken
Am 18. Februar wies der ukrainische Oberbefehlshaber Valeriy Zaluzhnyi alle russischen Sabotagevorwürfe in den besetzten Regionen von Donezk und Luhansk kategorisch zurück. Er betonte, Russland verbreite unglaubwürdige Fälschungen nur für seine eigenen Zwecke – um die Situation zu eskalieren.
„Informationen über ukrainische militärische Sabotagegruppen, die angeblich die Sprengung von Chlorbehältern in der Kläranlage von Horliwka planen, entsprechen nicht der Realität,” sagte Zaluzhnyi.
Die Ukraine unternimmt keine Angriffe auf die besetzten Gebiete und hat dies auch nie getan – weder eine militärische Offensive noch chemische Sabotage, nicht nur aus humanitären Gründen, sondern auch aufgrund der geografischen Lage des Landes. Jegliche chemische oder radioaktive Aktivität des ukrainischen Militärs würde nicht nur das von Russland eroberte Gebiet betreffen, sondern auch die von der Regierung kontrollierten Regionen. Austretende Gifte können vom Wind kilometerweit getragen werden, und schwere Chemikalien können Boden und Wasser verseuchen. Ein chemischer Angriff kann nicht nur die besetzten Gebiete von Donezk und Luhansk betreffen; die Gifte werden sich auch auf den Rest des Landes ausbreiten, das von Kijiw kontrolliert wird.
Im vergangenen Monat warnten die ukrainischen Geheimdienste, dass aus Containern, die das russische Militär in die Ukraine gebracht und auf dem Gelände der Düngemittelfabrik Stirol abgestellt hatte, Ammoniak auslief. Die Geheimdienstabteilung des ukrainischen Verteidigungsministeriums betonte damals, dass „eine von Menschen verursachte Katastrophe dazu benutzt werden kann, die Ukraine zu beschuldigen, giftige Chemikalien als Vorwand für eine Ausweitung der bewaffneten Aggression gegen die Ukraine zu verwenden“.
Russische Medien haben bereits vor mindestens vier Jahren damit begonnen, gefälschte Behauptungen zu verbreiten, wonach die Ukraine angeblich einen chemischen Angriff auf ihr eigenes Hoheitsgebiet vorbereite. Im Jahr 2018 verbreiteten Publikationen wie Moskowskij Komsomolez, Prawda und Swesda Geschichten, in denen behauptet wurde, dass „die Ukraine zusammen mit amerikanischen Geheimdiensten einen radioaktiven Sabotageakt auf die Wasserversorgung des Donbas vorbereitet“. Eine absurdere Desinformation als diese Behauptung ist wohl kaum denkbar. Immerhin erstreckt sich das Wasserversorgungssystem für die Regionen Donezk und Luhansk über 260 Kilometer, und die meisten Gewässer führen nicht nur durch die Frontlinie, sondern auch durch die besetzten Gebiete sowie durch Regionen, die von der ukrainischen Regierung kontrolliert werden. Sollte es zu einer Verunreinigung des Wassers kommen, wären nicht nur die besetzten Gebiete betroffen, sondern auch die von Kijiw kontrollierten Gebiete. Giftige Elemente, die in das Wassersystem gelangt sind, werden den größten Teil des ukrainischen Territoriums verseuchen und in das Schwarze und das Asowsche Meer gelangen. Alle an diese Gewässer angrenzenden Länder, einschließlich Russland, wären davon betroffen.
Das Land, das die Ukraine immer wieder beschuldigt, chemische Angriffe zu planen, vergisst bequemerweise, dass es selbst mit dem Einsatz von Chlorgas in Verbindung gebracht wird. Im Februar 2018 wurde Chlorgas auf die syrische Stadt Saraqib abgeworfen. Im April 2018 wurde eine weitere syrische Stadt, Douma, zweimal Ziel von chemischen Angriffen. Die Regierungstruppen von Baschal al-Assad und ihre Verbündeten stecken hinter all diesen Angriffen. Der wichtigste Verbündete Syriens ist niemand anderes als Russland.